Papstbesuch: „Seelenloser Konsumismus“

Papst Franziskus hat am Dienstag 25 11 14 das Europaparlament in Strassburg besucht und dort vor d
Papst Franziskus hat am Dienstag 25 11 14 das Europaparlament in Strassburg besucht und dort vor d(c) imago/epd (imago stock&people)
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Franziskus mahnte im Europaparlament vor einem falschen Weg der EU im Umgang mit Arbeitnehmern, aber auch gegenüber Migranten.

Straßburg. Warnung und Hoffnung – mit diesen Botschaften im Reisegepäck traf Papst Franziskus am gestrigen Dienstag in Straßburg ein. Im Lauf seines vierstündigen Blitzbesuchs bei den europäischen Institutionen sprach der Heilige Vater den Entscheidungsträgern der Europäischen Union eindringlich ins Gewissen: Um Europa ist es demnach alles andere als gut bestellt. Doch wenn sich der Kontinent auf seine Identität und sein kulturelles und spirituelles Erbe besinne, könne er wieder genesen.

Dass der Papst bei seiner ersten Visite in der EU lediglich im Europaparlament und im ebenfalls in Straßburg beheimateten Europarat gastierte und bei diesem Anlass nicht gleich auch Frankreich einen offiziellen Besuch abstattete, hatte in Paris im Vorfeld für Unzufriedenheit gesorgt. Man habe bewusst keinen Staatsbesuch organisieren wollen, hieß es daraufhin aus dem Vatikan – doch die Botschaft kam sehr wohl an. Dem Vernehmen nach soll Franziskus im kommenden Jahr nach Frankreich kommen und bei der Gelegenheit auch Lourdes einen Besuch abstatten. Doch angesichts der Worte, die Franziskus in Straßburg an die Europaparlamentarier gerichtet hat, wird Präsident François Hollande wohl froh gewesen sein, dass der Papst nicht die Gelegenheit hatte, ähnlich klar die momentanen Probleme Frankreichs anzusprechen.

Von der namensgebenden Tochter des phönizischen Königs Agenor, die von Zeus in der Gestalt eines Stiers auf die Insel Kreta entführt wurde, sei Europa meilenweit entfernt, analysierte Franziskus – das heutige Europa ähnle vielmehr einer Großmutter, deren fruchtbare Jahre vorbei seien. „Von mehreren Perspektiven aus gewinnt man den Eindruck von Müdigkeit und Alterung.“

„Einsamkeit des Volks in der Krise“

Die Ursache für die Probleme, die die EU plagen, ortet Franziskus in der vorherrschenden Kultur des seelenlosen Materialismus und Konsumismus, die Menschen zu oft zu Gegenständen degradiert und nach Gebrauch ausrangiert. Zudem habe die Erweiterung der Union Misstrauen der EU-Bürger gegenüber den europäischen Institutionen gesät und die anhaltende Wirtschaftskrise die Einsamkeit jener Bevölkerungsgruppen vertieft, die ohne Arbeit und Zukunftschancen dahinvegetierten.

Ein weiteres Symptom der europäischen Malaise sei der Umgang mit jenen, die in der EU ein besseres Leben suchten – den Migranten. Es sei nicht zu akzeptieren, dass „das Mittelmeer zu einem großen Friedhof wird“, sagte Papst Franziskus unter tosendem Applaus der im Plenarsaal versammelten Europaabgeordneten.

Die päpstliche Bestandsaufnahme fiel also alles andere als schmeichelhaft aus – doch Franziskus wäre nicht der Oberste Hirte, hätte er nicht auch eine „Botschaft der Hoffnung“ ins Europaparlament mitgebracht. Europa werde genesen, wenn es den Menschen und seine Würde wieder in den Mittelpunkt des politischen Handelns stelle.

Als Leitbild sieht der Papst Raffaels Fresko „Die Schule von Athen“, das in den Vatikanischen Stanzen besichtigt werden kann – in dessen Mittelpunkt stehen die Philosophen Plato und Aristoteles. Ersterer zeigt zum Himmel, der andere zur Erde. „Die Zukunft Europas hängt von der Wiederentdeckung der Verknüpfung dieser zwei Elemente ab“, erklärte Franziskus. Soll heißen: Nur die Verknüpfung des auf die Gegenwart fokussierten Pragmatismus mit einer Perspektive, die über das Diesseits hinausgeht, kann Europa retten – und die Rückbesinnung auf die Werte der europäischen Gründungsväter, die mit ihrem Projekt der europäischen Integration „Frieden und Eintracht“ schaffen wollten.

„Gute Seele wiederentdecken“

An die Abgeordneten richtete der Papst den Wunsch, sie mögen daran arbeiten, „dass Europa seine gute Seele wiederentdeckt“. Und was bei den Parlamentariern besonders gut angekommen ist, war der päpstliche Einsatz gegen die in weiten Teilen der Union grassierende Arbeitslosigkeit: „Es ist notwendig, der Arbeit wieder Würde zu verleihen“, sagte Franziskus gestern, „indem man auch angemessene Bedingungen für ihre Ausübung gewährleistet.“ Es sei höchst an der Zeit, die „Flexibilität des Marktes mit der Notwendigkeit von Stabilität und Sicherheit“ zu verknüpfen – und gemeinsam ein Europa aufzubauen, das „den Himmel betrachtet und auf sicherem, festem Boden voranschreitet“, so wie Plato und Aristoteles im Vatikanischen Fresko.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.11.2014)

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