Medizin: Warum so viele Iraner Ärzte sind

Jaleh Lackner-Gohari war die erste iranische Ärztin in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg.
Jaleh Lackner-Gohari war die erste iranische Ärztin in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg.(c) Farzad Dadgar
  • Drucken

Krankenhäuser in Österreich wären ohne persische Ärzte kaum vorstellbar. Dass das Medizinstudium so beliebt ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass im Iran nur die „Besten“ Medizin studieren dürfen.

In Österreich leben laut Statistik Austria 13.000 Iraner – mehr als 1000 von ihnen sind Ärzte. Jaleh Lackner-Gohari war vor ihrer Pensionierung eine von ihnen – sie war die erste iranische Ärztin in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Ende 1955 wurde die damals 16-jährige Maturantin – sie hatte zwei Klassen übersprungen – von ihren Eltern zum Medizinstudium nach Wien geschickt.

Als im Mai die Alliierten und im Oktober die Russen aus Österreich abzogen, war sie bei einer österreichischen Familie in Wieden. Die „Stadt des Walzers“ war für sie in der Nachkriegszeit eine traurige, ärmliche Stadt und nicht das Europa, das sie sich vorgestellt hatte. Doch obwohl die Stadt arm war, hatte man die Oper wieder hergerichtet. Für die Musik- und Literaturliebhaberin faszinierend.

Doch den Wunsch zu äußern, Musikerin zu werden, „das war damals unmöglich“. Es war ein ungeschriebenes Gesetz, dass sie Medizin studieren müsse. Heute sind zwei ihrer Kinder Musiker und leben ihren Traum.

Immer schon hat sie sich in NGOs engagiert, war Mitbegründerin der Gesellschaft iranischer unabhängiger Frauen. Seit einem Jahr ist sie Mitorganisatorin der Mahnwache zur Solidarität mit trauernden Müttern (siehe unten rechts). Österreich sieht sie als ihre Heimat. „Wir sind keine Gäste, leisten unseren Beitrag an der Gesellschaft.“ Tatsächlich wären österreichische Krankenhäuser ohne iranische Ärzte unvorstellbar.

Doch warum ist für so viele iranische Eltern der Arztberuf so wichtig? Von klein auf werden Kinder erzogen, einmal Arzt oder Ärztin zu werden. Von sanftem Druck ist die Rede. Andere Studienrichtungen werden dabei gerne als Hobby lächerlich gemacht. Auch Afsaneh Gächter ist damit vertraut. Ihre Eltern wollten sie auch als Ärztin sehen. Doch sie hat sich geweigert und Soziologie, Ethnologie und Geschichte studiert. „Ein brotloser Beruf wäre das“, hörte sie damals von ihren Eltern.

Dass das Medizinstudium so beliebt ist, hat vielleicht auch damit zu tun, dass im Iran nur die „Besten“ Medizin studieren dürfen. Einmal im Jahr gibt es für alle, die studieren wollen, eine Aufnahmeprüfung. Je nach erreichter Punkteanzahl werden die Maturanten für die jeweiligen Studienrichtungen zugelassen. Für Humanmedizin muss man die meisten Punkte erreichen, gefolgt von Zahnmedizin.

Medizin ist Status

Medizin hat Gächter zwar nicht studiert, forscht aber über Wissens- und Kulturtransfer zwischen Österreich und dem Iran am Institut für Iranistik an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Mit einem Medizinstudium sei für viele Iraner ein sozialer Status und Prestige verbunden, glaubt Gächter. Für Lackner-Gohari ein berechtigtes Image, da es ein schwerer Beruf sei, bei dem man ständig mit dem Leid von anderen konfrontiert ist.

Doch manche führen das große Interesse der Iraner an der Medizin auch darauf zurück, dass die „Wiege der Medizin“ sich in dieser Region befindet. Minoo Rahimi, Allgemeinärztin und Vorstandsmitglied der österreichisch-iranischen Ärztegesellschaft, spielt auf Ibn Sina und Zakaria Razi an. Beides persische Gelehrte und bedeutende Ärzte. „Ihre Bücher waren eine Grundlage der Medizin in Europa“, sagt Gächter. Letzterer entdeckte im neunten Jahrhundert Alkohol. Gächter: „Die wissenschaftliche Sprache war damals Arabisch, deswegen glauben viele in Europa, er wäre Araber gewesen.“

Sozialer Status oder Wiege der Medizin, Tatsache ist, dass selbst das Interesse der zweiten Generation an Medizin groß ist. Auch wenn nur ein Elternteil Iraner ist. Dass es einen sanften Druck der Eltern gebe, sei nicht zu leugnen, doch großteils sei man glücklich über das Medizinstudium. Rahimi: „Es ist ein langwieriges Studium mit einem großen Volumen an Wissenschaft. Wenn man nicht diszipliniert ist, schafft man es nicht allein durch den psychischen Druck der Eltern.“ Entweder wird das Interesse während des Studiums geweckt oder man bricht ab. Die Mehrheit schaffe das, sagt Rahimi.

So überrascht es nicht, dass immer wieder Ordinationen der ersten Generation durch die zweite übernommen werden, ohne dass eine Verwandtschaft oder Bekanntschaft besteht. Rahimi führt sich selbst als Beispiel an – ihr Vorgänger war ein iranischer Armenier, der die Ordination mit seiner österreichischen Frau führte.

Die schwarze Doktorin

Vor der Übernahme war für einige Patienten eine offene Frage, ob sie überhaupt Deutsch könne. Und sie wollten wissen, wie die „schwarze Doktorin“ aussieht. Dass manche Patienten sich bei ihr über Ausländer beschweren, ist für sie unfassbar. Rahimi: „Ich frage dann: Was glauben Sie, wer Ihnen gegenübersitzt?“ Da bekomme sie zu hören, „Frau Doktor, Sie sind keine Ausländerin, Sie sind eine von uns.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.