Islamdebatte: Christlich-jüdisches Erbe? Eine Konstruktion!

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Islamdebatte Christlichjuedisches Erbe Eine(c) EPA (ARDON BER HAMA / HO)
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„Der Islam gehört zu Deutschland“, sagt der deutsche Bundespräsident, Kritiker erinnern an das „christlich-jüdische Erbe“. Das gibt es nicht, sagen ein Theologe und eine Professorin für jüdische Philosophie.

Seit zehn Tagen nun schon wird in Deutschland über ein paar Sätze aus dem Mund des neuen Bundespräsidenten gestritten. Christian Wulff hatte am 3.Oktober in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit gesagt: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ CDU/CSU-Politiker, also Parteikollegen Wulffs, reagierten empört: Maßstab für das Zusammenleben in Deutschland sei das Grundgesetz, „das auf unserem christlich-jüdischen Erbe beruht“, sagte Unions-Fraktionschef Kauder. Der Islam könne nicht das Werte-Fundament der deutschen Gesellschaft bilden.

Hat Wulff die Bedeutung von Christentum und Judentum für die deutsche Kultur mit der (künftigen) des Islam gleichgesetzt, wie die Schriftstellerin Monika Maron im „Tagesspiegel“ behauptet? Die Lesart ist berechtigt: Da Wulff die Begriffe „Christentum“ und „Judentum“ offensichtlich im Sinn einer kulturellen Prägung verwendet, liegt es nahe, „der Islam“ ebenso zu verstehen.

„Geschichte der Glaubenskriege“

Es war noch dazu die erste wichtige Amtsrede des neuen Bundespräsidenten – auch das erklärt, warum der Satz „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland“ so viel mehr erregt als etwa die in den vergangenen Jahren mehrmals geäußerte Feststellung des früheren Innen- und jetzigen Finanzministers Wolfgang Schäuble: „Der Islam ist inzwischen ein Teil Deutschlands.“

Dass nicht islamisch, sondern christlich geprägte Kulturen Errungenschaften wie Menschenrechte oder die Gleichberechtigung der Frau hervorgebracht haben, ist eine Tatsache. Aber heißt das schon, dass das Grundgesetz „auf unserem christlich-jüdischen Erbe beruht“?

Dagegen hat nicht nur der deutsche Publizist Henryk Broder in einem offenen Brief an den Bundespräsidenten protestiert (die christlich-jüdische Geschichte Deutschlands sei „vor allem eine Geschichte der Glaubenskriege, der Unterdrückung, des Antisemitismus und der Gewalt, vom Holocaust zu schweigen“); am Mittwoch haben sich unabhängig voneinander auch zwei Wissenschaftler zu Wort gemeldet, die nicht gerade im Verdacht stehen, religionsfeindliche Säkularismusfanatiker zu sein: der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf und die Professorin für jüdische Philosophie Almut Sh. Bruckstein Çoruh.

Die christlich-jüdische Tradition sei eine Erfindung, eine „posttraumatische Konstruktion“, schreibt Almut Sh. Bruckstein Çoruh im „Tagesspiegel“. Vor hundert Jahren seien Talmud und rabbinisches Judentum in Deutschland angeklagt worden wie heute der Islam. Erst nach 1945 habe ein jüdisch-christlicher Dialog begonnen – und dessen Trennlinien hätten ziemlich genau jenen zwischen muslimischen und christlichen Überzeugungen heute entsprochen. Bruckstein Çoruh erinnert schließlich an den bedeutendsten jüdischen Gelehrten des Mittelalters, Moses Maimonides, dessen Denken mit der islamischen Philosophie eng verbunden ist. „Es stockt einem der Atem bei so viel Geschichtsvergessenheit.“

Rechtsstaat gegen Kirchen durchgesetzt

Die Formel vom „christlich-jüdischen Erbe“ wurde vor allem nach 1945 zwecks politischer Korrektheit geprägt, sagt auch der Professor für Systematische Theologie Friedrich Wilhelm Graf im Interview mit der „Süddeutschen“. Und der von den griechischen Stoikern kommende Begriff der Menschenwürde sei zwar durch die christliche Philosophie modelliert worden, aber „der enge Zusammenhang von Menschenwürde und Ebenbild-Vorstellungen ist erst ein Konstrukt des 20.Jahrhunderts“. Schließlich, was ohnehin jeder wissen sollte: „Der moderne Verfassungsstaat, und speziell der Rechtsstaat in Deutschland, ist weithin gegen die Kirchen durchgesetzt worden.“

„Wir sollten das Grundgesetz nicht taufen“

Graf ist von der Rede des Bundespräsidenten so wenig begeistert wie von dessen konservativen Kritikern. Die Formel „christlich-jüdisch“ unterwandere die Unterscheidung von Religion und Moral auf der einen, Recht auf der anderen Seite. Zugewanderte Muslime hätten nicht eine Werte-, sondern eine Rechtsordnung zu akzeptieren.

Was tut es für die Einhaltung dieser Ordnung eigentlich zur Sache, wie christlich-jüdisch geprägt sie ist? Und muss „der Islam“ überhaupt zu Deutschland gehören oder auch nicht gehören? Genügt es nicht zu sagen, dass Muslime es tun? Manche würden sich wohl wünschen, dass alle Politiker so pragmatisch wären wie der Münchner Theologe: „Wir sollten das Grundgesetz nicht taufen, das macht alles nur viel schwieriger.“ Man könnte hinzufügen: Nicht auf einen christlichen Namen – und genauso wenig auf einen christlich-jüdisch-muslimischen.

Proteste erntete der deutsche Bundespräsident, Christian Wulff, als er in seiner Rede zum Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober sagte: „Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“ Unions-Politiker gingen auf Distanz, Bundeskanzlerin Angela Merkel beschwichtigte: „Das Christlich-Jüdische“ sei „die prägende Kraft unserer Kultur“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2010)

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