Türkische Familie und ihr Weihnachten mit Obdachlosen

Die türkische Familie Leierer teilt am Heiligen Abend Essen an Bedürftige aus. Die Religion ist für sie dabei kein Hindernis: Die Familie ist muslimisch. Sie hat einen Weihnachtsbaum und geht gerne in die Kirche.

Das muss man einmal erlebt haben“, sagt Dürdane Leierer. Das Austeilen von Essen ist gemeint – an bedürftige Menschen am Heiligen Abend. Jedes Jahr geht die türkischstämmige Gerichtsdolmetscherin gemeinsam mit ihrem Sohn Ferdinand ins Curhaus am Stephansplatz und teilt Essen aus. Ihr Sohn, Kaffeehausbetreiber von „Yilk Simits“ in der Währinger Straße, steuert Essen und Weihnachtsgebäck dazu bei.

Auch heuer werden Mutter und Sohn von 17 Uhr bis 23.30 Uhr Essen ausgeben. Namhafte Firmen spenden ebenfalls, aber keiner von ihnen ist persönlich vor Ort, „wir sind die Einzigen, die am Heiligen Abend wirklich dort stehen und Essen an die Menschen ausgeben“, sagt Ferdinand Leierer. Letztes Jahr wurden 156 Menschen verköstigt. Es gab Gulasch mit Erdäpfeln, die vorzeitig ausgingen. Mutter Leierer rief bei einem türkischen Bäcker an, der daraufhin in seine Bäckerei eilte und in der Not 100 Stück frische Fladen persönlich vorbeibrachte. Ferdinand Leierer: „Das macht am Heiligen Abend auch nicht jeder.“

Kritik von türkischen Medien

Dass sie als Muslime in der Christnacht Essen spendieren, ist für Frau Leierer und ihren Sohn nichts Besonderes – es spiele keine Rolle, welcher Religion jemand angehöre. Doch nicht bei allen kommt ihr Engagement gut an. Konservative türkische Medien berichteten, sie wolle missionieren. Auch einige ihrer Freundinnen, die in türkischen Vereinen aktiv sind, fragen sie, warum sie zu den Österreichern helfen gehe anstatt zu ihnen zu kommen. Davon lässt sich Familie Leierer aber nicht abhalten. „Ich helfe Menschen, die Religion spielt für mich keine Rolle. Gott ist Gott“, sagt Dürdane Leierer.

Mit unterschiedlichen Religionen hat sie auch Erfahrung: Ihre Großmutter war griechisch-orthodox, ihr verstorbener Mann Österreicher und römisch-katholisch. Sie selbst bezeichnet sich als Mohammedanerin. So wie ihr Sohn: Im katholischen Kindergarten und in der katholischen Schule wurde er zwar katholisch erzogen, aber seine Eltern ließen ihn die Religion frei wählen. Mit 16 entschied er sich für den Islam. Die Kirche ist für beide trotzdem Gottes Haus. Daher gehen sie auch als gläubige Muslime in die Kirche – am liebsten in die Malteser- oder Peterskirche. „Das ist wie in der Moschee für mich“, sagt Dürdane Leierer.

Wo sind alle zu Weihnachten?

Nach ihrer Arbeit am Heiligen Abend wartet zu Hause auf Mutter und Sohn ein feierlich geschmückter Baum, „das ist bei uns Tradition.“ Doch nicht immer kannte Mutter Leierer die Weihnachtstraditionen. An ihre erste Feier in Österreich im Jahr 1971 erinnert sie sich noch gut: Sie war gerade ein halbes Jahr in Österreich. Gemeinsam mit 15 anderen Absolventen des St. Georgs-Kollegs in Istanbul war sie zum Studium nach Österreich gezogen. Was sich am 24. Dezember abspielt, wussten sie nicht.

Gemeinsam gingen sie also in den ersten Bezirk, zum Stephansplatz, und fragten sich ob der ungewohnten Menschenleere, wo denn gefeiert werde? Sie wussten, Österreicher halten sich gerne in Grinzing auf, also brachen sie Richtung Döbling auf, um erneut enttäuscht festzustellen, dass kein Mensch da ist. Damals hatten alle Restaurants geschlossen – bis auf ein „Wienerwald“-Lokal, wo sie schließlich ihr erstes Weihnachtsfest feierten. Am nächsten Tag erfuhren sie, dass zu Weihnachten alle zu Hause sind. Familie Leierer hat dem eine weitere Weihnachtstradition hinzugefügt: Essen an Bedürftige auszuteilen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.