Buchtipp: Wer machte Islam prüde?

(c) Julia-Holtkötter
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Der Arabist Thomas Bauer glaubt, dass erst der Einfluss des Westens im Zuge der Kolonialisierung den Islam intolerant gemacht hat und beschreibt dies in sein 450 Seiten starken Werk.

Wien. Der heutige Islam ist westlich – so könnte man eine der zentralen Thesen des Buches des Islamwissenschaftlers und Arabisten Thomas Bauer beschreiben. „Die Kultur der Ambiguität“ ist ein 450 Seiten starkes Werk, das die Ambiguität, also die Mehrdeutigkeit, der islamischen Vergangenheit herausarbeitet. Der Autor will damit aufzeigen, warum der Islam im Zuge der Kolonialisierung zusehends prüder und intoleranter geworden sei.

Der Begriff Ambiguität beschreibt die Fähigkeit einer Kultur, verschiedene „Wahrheiten“ nebeneinander hinnehmen zu können. Gerade jene Fähigkeit sei vom 8. bis ins 19.Jahrhundert ein besonderes Merkmal der islamischen Kultur gewesen. Veranschaulicht wird dies anhand von detailliert ausgeführten Beispielen aus der Literatur, Lyrik, Theologie und der Sexualmoral. So wäre die heutige „Homosexuellenfeindlichkeit“ im Grunde „viktorianisch“ und nicht etwa „wahrhaft islamisch“; auch nüchterne Leitfäden für Sex oder klassische Lyrik mit knisternder Homoerotik seien erst im Zuge der imperialistischen Herausforderung „unislamisch“ geworden.

Ob nun islamistische oder liberale Ansätze; der Islam sei seit dem 19.Jahrhundert eine zusehends verwestlichte Form der ursprünglichen Religion geworden. Eine Rückkehr zur ursprünglichen Eigenart des Islam, der Ambiguitätstoleranz, sei daher angebracht. Und, so Bauers Schlussfolgerung, im Gegensatz zum Tenor der europäischen Islamdebatte brauche der Islam keine Aufklärung, sondern eine eigene 68er-Bewegung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2011)

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