Experten: Notstand bei Gesundheit von Migranten

(c) AP (Matthias Rietschel)
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Die Durchimpfungsrate ist bei Menschen mit Migrationshintergrund zu gering. Es fehlt vor allem an Wissen und Gesundheitsbewusstsein. Gesundheitsexperten schlagen staatlich finanziertes Impfprogramm vor.

Wien. Migranten sind gesundheitlich schlechter versorgt als die Mehrheitsbevölkerung, schlagen Gesundheitsexperten Alarm. Vor allem die Durchimpfungsrate sei bei Menschen mit Migrationshintergrund deutlich geringer. Und das kann Folgen für das gesamte Land haben – denn für eine Eliminierung von Infektionskrankheiten ist eine hohe Durchimpfungsrate notwendig. Das geht so weit, dass Ursula Wiedemann-Schmidt, Vorsitzende des Nationalen Impfgremiums, sogar spezielle Impfprogramme für Migranten fordert.

Probleme tauchen etwa dann auf, wenn Migranten regelmäßig ihr Herkunftsland besuchen wollen. „Sie verstehen oft das Risiko einer Infektionskrankheit nicht, da das Gefühl der Exotik, die Schwellenangst, nicht gegeben ist“, sagt Tropenmediziner Herwig Kollaritsch. Zwar zeige sich seit 2008 generell ein sinkender Trend in der Impfentwicklung, sagt Pamela Rendi-Wagner, die im Gesundheitsministerium unter anderem für Impfprogramme zuständig ist. Doch gerade in der Gruppe der Migranten sei das Bewusstsein für Impfschutz besonders niedrig. Und, so Rendi-Wagner: „Das beste Impfprogramm taugt nichts, wenn die Akzeptanz fehlt.“

Deswegen schlagen Gesundheitsexperten zur Verbesserung der Impfversorgung ein eigenes staatlich finanziertes Impfprogramm vor. Durch Aufklärungs- und Informationsmaterial soll die Impfversorgung forciert werden – und um speziell auch die Migranten zu erreichen, soll es die Informationen auch gleich in mehreren Sprachen geben.

Gerade die Sprache ist auch einer der Hauptgründe, warum Migranten Schwierigkeiten mit dem Gesundheitssystem haben. „Wenn jemand Beschwerden hat, sie aber nicht in Worte fassen kann, ist es schwer, eine Unterstützung zu finden“, sagt Wolfgang Spiegel von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Oft sind es die in Österreich aufgewachsenen Kinder, die ihre Eltern zum Arzt begleiten müssen, um zu dolmetschen.

Mehr Migranten als Ärzte

Ein möglicher Weg aus dem Dilemma ist es, vermehrt auch Ärzte mit Migrationshintergrund einzusetzen, die Sprache und kulturellen Hintergrund berücksichtigen können. Tatsächlich sind die Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens bereits heute wichtige Arbeitgeber für Menschen mit Migrationshintergrund. „Deshalb wird Diversity Management auch im Gesundheits- und Sozialbereich immer wichtiger“, weiß man im Zentrum für Migration und Gesundheit. Doch gebe es noch nicht genügend mehrsprachige Ärzte und Apotheker. Noch müssen einige sprachliche und kulturelle Barrieren überwunden werden.

Dazu kommt: Man braucht ausreichendes Systemwissen über das Gesundheitswesen, die sogenannte Health Literacy, um vorhandene Leistungen auch in Anspruch nehmen zu können – das gilt für alle. Allerdings werden dabei die spezifischen Bedürfnisse von Migranten im Gesundheitswesen kaum berücksichtigt.

Ein Defizit, das sich schon in der Planung ergibt: „Wenn wir Gesundheitsstrategien entwickeln, sind diese primär für die österreichische Bevölkerung“, meint Mediziner Kollaritsch. Doch mittlerweile machen Menschen mit Migrationshintergrund einen großen Teil der Bevölkerung aus – und man müsse „klar Bedacht auf sie nehmen und nicht nur auf die Einheitsbevölkerung“.

Dieser Gedanke wurde unter anderem auch schon im aktuellen Integrationsbericht aufgenommen. Darin wurde die Erhöhung des Diversitätsbewusstseins im Gesundheits- und Pflegebereich und die damit einhergehende Weiterbildung von interkulturellen Kompetenzen vorgesehen.

Mittlerweile erkennen aber auch schon Einrichtungen des Gesundheitswesens selbst die Notwendigkeit zu handeln. So startet etwa im November an der Donau- Uni Krems erstmals ein Lehrgang, bei dem Migranten und Gesundheit im Mittelpunkt stehen. Zielgruppe sind Menschen in Sozialberufen, die anwendungsorientierte Handlungskompetenzen im Umgang mit Migranten erlernen wollen. Auch laufen schon einige Pilotprojekte des Gesundheitsministeriums. Beim großen EU-Projekt „Restore“ etwa, an dem auch die Medizinische Universität Wien beteiligt ist, „geht es um die Betreuung von Migranten in der Medizin“, sagt Wolfgang Spiegel, der das Projekt leitet.

Kaum Daten vorhanden

Die Einsicht, dass Handeln notwendig ist, ist also vorhanden. Doch was die Grundlagen angeht, sehen Experten noch einigen Handlungsbedarf. So fand die letzte Abklärung der Datenlage zum Thema bei einer Gesundheitsbefragung der Statistik Austria 2006/2007 statt.

Dass das Thema Gesundheit und Migranten nicht so recht von der Stelle kommt, liege laut Kollaritsch auch an einer feindseligen Stimmung – nur ja keinen Aufwand zu viel. Ein Trugschluss, meint der Mediziner. „Denn Migranten müssen sich wohlfühlen, damit sie sich integrieren.“

Auf einen Blick

Daten: Menschen mit Migrationshintergrund beugen gesundheitlich weniger vor als der Rest der Bevölkerung, sagt eine Studie des Österreichischen Integrationsfonds. Gründe dafür sind zu wenig Wissen über Präventionsmaßnahmen, aber auch religiöse Barrieren.

Handbuch: Die Wiener Ärztekammer hat im November 2011 einen Leitfaden und ein Handbuch präsentiert, das Medizinern beim Umgang mit Migranten helfen soll.

WEITERE INFORMATIONEN UNTER

www.integrationsfonds.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.03.2012)

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