Zu wenig Lehrer mit Migrationshintergrund

(c) Mili Flener
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Nur sehr wenige Menschen mit Migrationshintergrund ergreifen Lehrerberuf. Ein Manko, wie Experten meinen, denn sie könnten besser auf die Bedürfnisse von Schülern mit anderer Erstsprache als Deutsch eingehen.

Wien. „Zima“, das bedeutet auf Serbokroatisch „Winter“. Und es taucht auch in mehreren Gedichten auf, die die Schüler in der Volksschule Rothenburggasse gerade schreiben. Die Gedichte sind auf Deutsch, doch einige der Kinder nützen ihre Mehrsprachigkeit, um sich besser ausdrücken zu können. Problem ist das keines – im Gegenteil. Lehrerin Sanja Biwald ermutigt die Schüler dazu.

Die Volksschullehrerin hat, so wie auch einige ihrer Schüler, selbst einen Migrationshintergrund. Als sie im Alter von acht Jahren mit ihren Eltern aus Bosnien nach Österreich kam, hatte sie keinerlei Deutschkenntnisse. Und so musste Biwald gleich zu Beginn auch schon die zweite Klasse Volksschule wiederholen. „Das neue Umfeld und vor allem die Sprache waren ein großer Schock für mich, es fiel mir schwer, mich den neuen Gegebenheiten anzupassen“, erzählt sie. Deutsch hat sie dann allerdings doch erstaunlich schnell gelernt. In ihrer unmittelbaren Umgebung wurde sehr viel Deutsch gesprochen, die Muttersprache Bosnisch mit den Eltern aber weiterhin gepflegt.

Einer vom Unterrichtsministerium in Auftrag gegebenen Studie zufolge war der Anteil der Schüler, die eine andere Umgangssprache als Deutsch sprechen, im Schuljahr 2009/10 in Wien mit 41,8Prozent am höchsten, österreichweit waren es 9,5Prozent. Allerdings: Lehrer mit Migrationshintergrund sind bis heute selten. Laut einer Studie der Donau Uni Krems sprechen lediglich 2,7Prozent der Schüler an Bildungsanstalten der Kindergartenpädagogik eine andere Umgangssprache als Deutsch, an den Pädagogischen Hochschulen (PH) wurde die Umgangssprache der Studierenden nicht erhoben.

Identität durch Muttersprache

Elisabeth Furch, Gesamtkoordinatorin der Kompetenzstelle Mehrsprachigkeit und Migration (KoMM) an der PH Wien, glaubt, dass der Anteil der Studenten mit Migrationshintergrund bei etwa 20 Prozent liegt. Für sie ist die Muttersprache die Basis zum Deutschlernen – auch werde durch sie die Identität der Kinder geprägt. Lehrende mit Migrationshintergrund seien dabei ein Schlüssel zur interkulturellen Schulentwicklung. „Diese Lehrpersonen haben aufgrund ihrer eigenen Migrationsgeschichte ein besseres kulturelles Verständnis und können eher auf diese Schüler eingehen“, meint Furch. Diese Mehrsprachigkeit solle man nicht als Defizit sehen.

Als Makel hat Volksschullehrerin Sanja Biwald ihre Mehrsprachigkeit aber lange gesehen: „Ich habe mich im Gymnasium oft für meine Muttersprache geschämt, vor allem wenn mir einmal ein nicht deutsches Wort dazwischengerutscht ist“, erzählt die 28-Jährige. Erst in der Ausbildung zur Volksschullehrerin wurde sie mit ihrer Herkunft konfrontiert – und lernte, ihre Mehrsprachigkeit als wertvolle Ressource zu sehen.

Ähnlich erging es auch Martina Dzepina, die 1992 kurz nach Ausbruch des Jugoslawien-Krieges nach Österreich kam – und die heute ebenfalls als Volksschullehrerin in Wien arbeitet. Für die damals Siebenjährige ein traumatisches Erlebnis: „Ich wurde aus der ersten Klasse herausgerissen und war am Boden zerstört.“ Auch bei Dzepina ähneln die ersten Erlebnisse in Österreichs Schullandschaft denen von Biwald. Sie lernte schnell Deutsch, genierte sich aber, auch in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. Dazu kam, dass es ihr in ihrer Volksschule in Ottakring damals nicht erlaubt war, mit den anderen serbokroatischsprachigen Kindern in ihrer Muttersprache zu sprechen.

Aus eigener Erfahrung weiß Dzepina, dass die größten pädagogischen Herausforderungen bei Kindern mit anderen Erstsprachen bestehen, da sie zunächst ihre Muttersprache als Grundlage brauchen, um richtig Deutsch lernen zu können. Sie hält aber nichts davon, dass Lehrer mit Migrationshintergrund nur in Schulen kommen sollten, in denen auch ein Großteil der Schüler einen solchen hat. „Interkulturelle Kompetenzen in der Ausbildung betrifft alle Lehrer, aber das Schulungsangebot dafür ist sehr dünn“, meint sie.

Interkulturelles Lernen ist auf der PH Wien lediglich ein Wahlfach. Ein Umstand, den auch Elisabeth Furch von KoMM kritisiert: „Es gibt kein Bewusstsein dafür im Unterrichtsministerium, dieses Fach hervorzuheben. Man geht davon aus, dass alle Studenten monolingual sind.“ Dabei ist sie sich sicher, dass Lehrende ihre eigene Mehrsprachigkeit gezielt nutzen könnten – etwa als Mittel zur Förderung und als Grundlage für den Aufbau von Vertrauen. „Außerdem dienen Pädagogen den Schülern als Vorbilder für gelungene Integration“, sagt Furch.

Sprachkenntnisse gefragt

Eine Erfahrung, die auch Sanja Biwald in ihrer eigenen Lehrerlaufbahn gesammelt hat. „Die Kinder reagieren ganz anders, wenn sie in ihrer Muttersprache angeredet werden oder sehen, dass ihre Sprachkenntnisse plötzlich gefragt sind.“ Manchmal muss sie auch bei den Eltern von Kindern mit Migrationshintergrund Überzeugungsarbeit leisten und ihnen erklären, dass ihre Muttersprache genauso wichtig ist wie das Erlernen von Deutschkenntnissen.

Wieder anders verläuft es bei Eltern von einheimischen österreichischen Schülern, erzählt die Volksschullehrerin: „Eine Mutter wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte, dass ihr Kind türkische Wörter im Unterricht gelernt hatte.“ Erst als sie im Urlaub in der Türkei gesehen habe, dass ihr Kind die Hotelangestellten in deren Muttersprache begrüßen konnte, kam der Wandel. „Da schien sie davon überzeugt, dass viele Sprachen zu beherrschen nie ein Nachteil sein kann.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.04.2012)

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