Zweiter "Fall Olivia"?: Wenn der Staat zum "Vater" wird

Themenbild: Spital, Krankenhaus, Krankheit, Gesundheit, Arzt Foto: Clemens Fabry
Themenbild: Spital, Krankenhaus, Krankheit, Gesundheit, Arzt Foto: Clemens Fabry(c) (Fabry Clemens)
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Die Behörden setzen die Behandlung eines HIV-infizierten Mädchens gegen den Willen der Eltern durch. Diese werden von "Wunderheiler" Hamer unterstützt. "Aids gibt es gar nicht", sagt der Vater.

Wien. „Den Umständen entsprechend, geht es dem Kind besser.“ Der Statusbericht von Wilhelm Müller, Leiter der Kinderklinik am Grazer LKH, fällt sanft positiv aus. „Es ist nicht mehr so schwer krank“, sagt er, ohne auf die Krankheit einzugehen, und verweist auf die Schweigepflicht – in einem Fall, der bisher medial sehr laut war und die heikle Frage stellt: Wann darf Vater Staat wirklich Vater sein und gegen den Willen der Eltern medizinische Maßnahmen anordnen?

Bei der elf Monate alten Muriel Seebald scheint der Fall sehr klar. Bei ihr wurde HIV diagnostiziert, die Eltern bestreiten das, denn: „Aids gibt es gar nicht“, sagt der Vater und befürchtet, dass sein Kind „zu Tode therapiert wird“. Bei ihm und Muriels Mutter wurde vor Jahren HIV nachgewiesen. „Für uns ist das nicht mehr als ein Allergietest“, sagt er. Die Medikamente haben beide – mittlerweile vierfache Eltern – abgesetzt. Sie verneinen die Existenz des HI-Virus beim Menschen und erheben schwere Vorwürfe gegen Behörden. Sie werden brieflich durch „Wunderheiler“ Ryke Geerd Hamer unterstützt, der durch den „Fall Olivia Pilhar“ bekannt wurde (deren Eltern flohen 1995 vor der Schulmedizin). Im „Fall Muriel“ hat die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg die medizinische Obsorge übernommen. Mitarbeiter brachten das Mädchen am 22.Dezember mit schwerer Lungenentzündung ins LKH, wo es seitdem behandelt wird.

Lebensgefahr, bleibende Schäden

Wann Eltern die Entscheidungsbefugnis über medizinische Behandlungen entzogen wird, ist im Gesetz allgemein formuliert, „nämlich immer dann, wenn das Kindeswohl gefährdet ist“, sagt Christian Kopetzki, Professor für Medizinrecht an der Uni Wien. Jeder kann das Pflegschaftsgericht anrufen. Wenn es eilt, können Arzt oder Jugendamt gegen den Willen der Eltern entscheiden. Gefährdet ist das Kindeswohl jedenfalls, wenn ohne Behandlung Lebensgefahr oder bleibende Schäden drohen. Im Einzelfall sind Entscheidungen heikel: Allfällige alternative, von den Eltern vorgeschlagene Behandlungsmethoden müssen geprüft werden. Im Fall Muriel ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die Eltern wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen und vorsätzlicher Gefährdung durch übertragbare Krankheiten. Die Eltern erstatteten Anzeige gegen Ärzte und BH.

AUF EINEN BLICK

Seit 22.Dezember ist die elf Monate alte Muriel Seebald im LKH Graz in Behandlung. Das HIV-infizierte Kind wurde von Mitarbeitern der Bezirkshauptmannschaft ins Spital gebracht. Die Eltern – selbst beide HIV-positiv – bestreiten auf ihrer Homepage die Existenz von Aids. Brieflich unterstützt werden sie von Ryke Geerd Hamer, der 1995 als „Wunderheiler“ im „Fall Olivia“ bekannt geworden ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2010)

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