Martin Novák: "Das Leben ist voller Risiko"

Martin Novk Leben voller
Martin Novk Leben voller(c) Matthias Auer
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Tschechiens Atomkraftwerke seien absolut sicher, sagt der Finanzvorstand des tschechischen Energieversorgers ČEZ. Ein Unglück wie im japanischen Fukushima könne in Mitteleuropa "nie passieren". Ein "Presse"-Interview.

Im März 2011 gab es im japanischen AKW Fukushima einen der größten Atomunfälle der Geschichte. Was dachten Sie, als Sie die Bilder im Fernsehen sahen?

Martin Novák: Ich dachte wahrscheinlich dasselbe wie Millionen andere Menschen. Ich interessierte mich dafür, was genau passiert war und wie sich die Dinge entwickelten. Eines ist aber klar: Was in Fukushima geschah, kann in Mitteleuropa keinesfalls passieren. Es gibt hier kein Meer, und unsere Kraftwerke stehen auch nicht in einer seismisch aktiven Gegend, sondern in einer der stabilsten Europas. Fukushima war zwar einer der ernstesten Zwischenfälle in einem Atomkraftwerk seit Jahren. Wenn man sich jedoch ansieht, wie stark der Tsunami die gesamte Gegend verwüstet hat, dann muss man auch feststellen, dass das Kraftwerk diese gigantischen Naturgewalten verhältnismäßig gut überstanden hat.

Hat in Ihren Augen Fukushima also sogar gezeigt, dass Atomkraft sicher ist?

Fukushima hat gezeigt, dass ein Atomkraftwerk eine Naturkatastrophe überstanden hat, die sonst von nichts überstanden wurde. Das Kraftwerk stand nach dem Tsunami – zwar beschädigt – immer noch da, während sonst nichts mehr stand. Ich möchte das Ganze jetzt nicht kleinreden. Es war ein schwerwiegender Unfall, und es gab einen Austritt von Radioaktivität. Aber man darf nicht vergessen, was für eine ungeheure Naturgewalt das Kraftwerk überstehen musste. In Mitteleuropa gibt es keine so starke Naturgewalt.

Sie hatten also nie Zweifel an der Sicherheit Ihrer eigenen AKW?

Unsere AKW wurden im Rahmen des EU-Stresstests überprüft, der ergeben hat, dass sowohl Temelín als auch Dukovany sichere Kraftwerke sind, bei denen bis auf ein paar kleine Adaptionen keine Änderungen notwendig sind.

Kritiker sehen die Ergebnisse von Temelín und Dukovany im Stresstest als vernichtend an. So sollen Filtersysteme und Notfallpläne fehlen.

Ich bin jetzt kein Experte für nukleare Sicherheit. Aber ich kann mich auf die Aussagen der tschechischen Atomsicherheitsbehörde beziehen. Und demnach sind unsere Kraftwerke absolut sicher.

Verstehen Sie die Sorgen der Österreicher, die in der Nähe der AKW an der tschechischen Grenze wohnen?

Wir verstehen die Sorgen. Wir sehen das Thema halt aus einem anderen Blickwinkel. Wir haben viel mehr Daten und wissen, dass der Sicherheitsstandard in den Kraftwerken sehr hoch ist. Und es sind ja nicht nur Österreicher, die in der Nähe unserer Kraftwerke leben. Wir leben selbst auch in der Nähe von ihnen.

Warum stehen Atomkraftwerke dann aber fast immer in der Nähe von Landesgrenzen? Das trifft ja nicht nur auf Tschechien zu. Es wirkt so, als ob die Länder ihre eigenen AKW möglichst weit von sich wegschieben wollten.

Das ist ein interessanter Punkt, der mir so noch nie aufgefallen ist. Die Entscheidung für die Lage unserer zwei AKW wurde jedoch bereits vor Jahrzehnten getroffen, weshalb es schwer ist, das jetzt zu kommentieren. Tschechien ist zudem auch so klein, dass so gut wie jeder Punkt nahe an einer Grenze ist.

Atomkraft steht ja vor allem wegen der Sicherheitsthematik in der Kritik. Interessant sind aber auch die wirtschaftlichen Zahlen. So gilt Atomkraft als besonders günstige Energiequelle. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) wird die globale Nuklearindustrie jedoch pro Jahr mit 45 Milliarden Dollar doppelt so hoch subventioniert wie erneuerbare Energien. Ist Atomkraft überhaupt so billig, wie sie scheint?

Die Zahlen der IEA kann ich nicht kommentieren. Ich kenne aber die Zahlen unseres Unternehmens. Und ČEZ ist nicht nur der profitabelste, sondern auch einer der finanziell gesündesten Energiekonzerne Europas. Der Grund dafür ist, dass wir zwei Atomkraftwerke betreiben. Diese produzieren bei geringen Kosten gleichmäßig sehr viel Elektrizität und stoßen dabei – was ja immer wichtiger wird – auch keinerlei CO2 aus. Es ist also auch eine sehr saubere Technologie.

Tschechien ist eines von drei Ländern in der EU, die Atomkraft als CO2-freie Technologie anerkannt haben wollen. Dies würde dann – wie bei Erneuerbaren – fixe Einspeistarife ermöglichen. Ist das nicht eine noch stärkere Verlagerung von Marktrisken von den Unternehmen auf den Staat?

Neubauten von Atomkraftwerken erhalten weltweit staatliche Unterstützung, wenn es um die Reduktion von Risken geht. Und bei der Diskussion, die sie angesprochen haben, geht es um die Erweiterung von Temelín. Den Bau finanzieren wir ohne Probleme selbst. Aber danach hätten wir gern das britische Modell. Dabei gibt es wie bei den Erneuerbaren fixe Einspeistarife. Denn gerade die massive Förderung der Erneuerbaren hat ja erst das Preisgefüge auf den internationalen Strommärkten zerstört. Obwohl die Stromkunden immer mehr für ihre Stromrechnung zahlen müssen, sind die Großhandelspreise für Strom stark gefallen. Der Energieanteil an der Rechnung wird also immer kleiner, jener für grüne Subventionen größer.

Würden Sie ein AKW auch ohne staatliche Hilfe bauen?

Wenn man ein Atomkraftwerk errichtet, muss man rund 60 Jahre in die Zukunft rechnen. Daher ist man natürlich bestrebt, die Risken zu verringern. Bisher waren schließlich jedoch alle AKW profitabel.

Eine wichtige Kostenfrage ist die Endlagerung des radioaktiven Mülls. Diese muss laut Kritikern für hunderttausende Jahre gewährleistet sein, die Haftung dafür übernimmt nach einigen Jahrzehnten der Staat. Laut Kritikern ist Atomkraft nur wegen dieser Haftungsübernahme rentabel.

In Tschechien zahlen die Atomkraftbetreiber in einen Fonds ein, mit dem ein Endlager gebaut und über Jahrzehnte betrieben werden kann. Und wenn Kritiker sagen, man müsse für hunderttausende Jahre vorausplanen, dann frage ich mich: Wie lange gibt es unsere Zivilisation? Etwas mehr als zweitausend Jahre. Ich würde mich daher auf die kommenden Jahrzehnte konzentrieren. Und für diese können wir die Kosten ziemlich genau vorhersagen.

Vor ein paar Jahren gab es auch in Großbritannien oder Finnland eine Renaissance der Atomkraft. Diese Länder sind inzwischen wieder wesentlich zurückhaltender. Tschechien will bis 2030 den Anteil des Atomstromes von einem Drittel auf die Hälfte anheben. Warum sind Sie so optimistisch beim Thema Atomkraft?

Wir sind technisch versierte und rational denkende Menschen. Und wir halten in dieser Frage vor allem die Emotionen heraus. So sollten Risken auch bei der Atomkraft rationell und realistisch eingeschätzt werden. Das Leben ist voller Risiko. Bei der Atomkraft werden Entscheidungen oft viel stärker von Emotionen als von Fakten bestimmt. Nehmen wir als Beispiel den deutschen Atomausstieg. Laut diesem wurden die deutschen AKW von einer Woche auf die nächste von sicheren zu unsicheren Kraftwerken, weil inzwischen der Unfall von Fukushima passierte. Rational betrachtet ist Atomkraft eine zuverlässige, profitable und von Energieimporten weitgehend unabhängige Energiequelle. Wenn die Menschen in Europa nicht mehr nur zwei Stunden am Tag Elektrizität haben wollen, dann müssen sie eine stabile Stromversorgung wählen. Und das sind derzeit nur Atomkraft, Kohle oder Gas.

Kritiker sagen, dass der Ausbau der tschechischen Atomkraft nur für den Export geschehe, weil etwa Länder wie Deutschland künftig mehr importieren müssen. Stimmt das?

Nein. Wir haben ein ganze Reihe von alten Kohlekraftwerken, die in den nächsten Jahren ersetzt werden müssen. Diese müssen entweder durch Atomkraftwerke oder Gaskraftwerke ersetzt werden. Und wir entscheiden uns da vor allem für Ersteres. Aber natürlich braucht Deutschland künftig – vor allem in Bayern – in den Spitzenzeiten auch immer wieder Strom aus Tschechien. Das war aber schon in der Vergangenheit so. Wir als ČEZ exportieren jedoch gar nichts. Wir verkaufen unseren Überschussstrom an der Strombörse in Prag. Wer ihn dort kauft und wohin er ihn verkauft, können wir nicht sagen.

Österreich fordert gemeinsam mit anderen EU-Staaten, dass Strom nach seiner Erzeugung gekennzeichnet wird und Atomstrom nicht mehr importiert werden darf. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Der freie Güterverkehr war einer der Gründe, warum die EU einst gegründet wurde. Wenn nun zwischen den Mitgliedsländern gegen einzelne Güter Importverbote verhängt werden, dann ist das auf jeden Fall abzulehnen. Zudem kann man nicht sagen, dass tschechischer Strom automatisch Atomstrom ist. Wir sind vielmehr nach Deutschland das Land mit der zweithöchsten installierten Kapazität von Erneuerbaren je Einwohner. So haben wir etwa 2000 Megawatt Fotovoltaik installiert, das ist gleich viel Kapazität wie beim AKW Temelín. Allerdings gibt Letzteres sieben Mal so viel Strom, weil es ständig produziert und nicht nur, wenn die Sonne scheint. Was wir kaum haben, ist Windenergie. Tschechien ist aber auch nicht sehr windig.

In Österreich sieht man das anders. Denn sobald man über die Grenze fährt, sieht man sehr viele Windräder, obwohl die Voraussetzungen nicht viel anders als in Tschechien sind.

Der Ausbau der Erneuerbaren hängt vor allem von der finanziellen Unterstützung durch den Staat ab. In Tschechien gab es diese vor allem für Fotovoltaik, obwohl es auch nicht ein übertrieben sonniges Land ist. Bei der Windenergie gibt es zudem viel Widerstand aus der Bevölkerung. Vielen Menschen ist das Landschaftsbild einfach wichtiger. Und nicht vergessen sollte man auch, dass auch Erneuerbare Umweltprobleme bereiten: So sind etwa in den Fotovoltaik-Paneelen viele giftige Inhaltsstoffe enthalten. Was geschieht mit diesen, wenn die Paneele in 20 Jahren am Ende ihrer Lebensdauer sind?

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sagte einst, Atomkraft sei nur eine Brückentechnologie hin zu den Erneuerbaren. Sehen Sie das auch so, oder ist Atomkraft für Sie noch eine Zukunftstechnologie?

(c) Die Presse / HR

Heutzutage hätten wir in Europa ohne Atomkraft ein großes Problem. Länder wie Frankreich hätten so gut wie überhaupt keine Elektrizität. Und ich glaube, dass Erneuerbare ohne technologischen Durchbruch auch auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werden, Atomkraft, Gas oder Kohle zu ersetzen. Und es wird sehr schwer werden, sowohl frei von CO2 als auch von Atomkraft zu werden.

Martin Novák (Jahrgang 1971) schloss sein Wirtschaftsstudium an der Universität Prag im Jahr 1994 ab und begann seine Karriere beim Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater PriceWaterhouse. Danach arbeitete er mehrere Jahre auch für Česká rafinérská und danach für Conoco in den USA und Großbritannien.

2006 trat Novák in die ČEZ ein, wo er seit 2008 die Finanzabteilung leitet. Seit dem Oktober 2011 ist Novák stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Energiekonzerns.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

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