Die Ambitionen der Weltpolitik stehen in krassem Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Folgen des Klimawandels sind beobachtbar, und sie sind stärker als bisher erwartet.
Doha/Wien. Zur Halbzeit der laufenden UN-Klimakonferenz in Doha stehen die Verhandlungen dort, wo sie sich seit Jahren befinden: Es herrscht absoluter Stillstand. Die Interessen der Staaten liegen unverändert weit auseinander: Schwellenländer wie Indien oder Brasilien beschuldigen die Industriestaaten, ihre Anstrengungen nicht zu verstärken. Diese wehren sich und rufen die anderen Länder auf mitzuziehen. Außer der EU will sich niemand auf verpflichtende CO2-Reduktionsziele einlassen – aus Angst, das Wirtschaftswachstum zu gefährden. Dazu kommt, dass die boomende Erschließung von Schiefergas und -öl den Zeitdruck bei der Suche nach alternativen Energieträgern nimmt.
Dieser Stillstand der globalen Klimapolitik steht in krassem Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen, die rund um die Konferenz veröffentlicht wurden. Diese sprechen eine klare Sprache: Die Folgen des Klimawandels sind beobachtbar, und sie sind stärker als bisher erwartet.
Der Ausstoß von Treibhausgasen steigt weiter – im Vorjahr um drei Prozent. Die CO2-Konzentration liegt aktuell bei 390,9ppm (Milligramm pro Kilogramm Luft) – vor Beginn der industriellen Revolution waren es 280ppm. Gestiegen sind auch die Mengen anderer Klimagase: Die Lachgaskonzentration ist um ein Fünftel höher, die von Methan hat sich sogar mehr als verdoppelt.
Eis schmilzt, Meere steigen
Wegen des Treibhauseffekts – die Wärmeabstrahlung von der Erde in den Weltraum wird durch die Klimagase abgeblockt – hat sich die Welt seither um 0,8 Grad erwärmt. Der Meeresspiegel ist – regional unterschiedlich – um 17 bis 22 Zentimeter gestiegen. Der weitere Anstieg hat sich zuletzt auf 3,2 Millimeter pro Jahr fast verdoppelt.
Mit ein Grund dafür ist, dass nun, wie berichtet, ein alter Streit unter Klimaforschern entschieden scheint: Die Gletscher auf Grönland und der Antarktis verlieren über das Jahr gesehen an Masse. Die Erwärmung führt auch zu einer Verschiebung der Vegetationszonen. So wurde etwa gezeigt, dass die Baumgrenze im Ural um 100 Meter angestiegen ist.
Übereinstimmend sprechen die Studien davon, dass Zahl und Dauer von Dürreperioden in den letzten Jahrzehnten stärker gestiegen sind, als gemäß den Prognosen zu erwarten war. Gleiches gilt für die Übersäuerung des Meerwassers (durch das gelöste CO2).
Seit dem letzten Bericht des UN-Weltklimarates IPCC sind nun schon fünf Jahre vergangen – die nächste Ausgabe ist für die Jahre 2013 und 2014 angekündigt. Seither hat sich das Wissen in vielen Bereichen stark erweitert. So weiß man heute, dass der Meeresspiegel nicht gleichmäßig steigt, sondern dass die Steigerung in den Tropen stärker ausfällt als in höheren Breitengraden.
Auch die Prognosemodelle haben Fortschritte gemacht, sie ermöglichen genauere Aussagen, auch über regionale Veränderungen. Die Erwärmung wird demnach in allen Teilen der Erde weitergehen – ohne zusätzliche CO2-senkende Maßnahmen kann in den Augen der meisten Klimaforscher die Erwärmung nicht bei zwei Grad begrenzt werden. Die Zahl der Hitzetage wird steigen, jene von Frosttagen sinken.
Trockener wird es laut den Modellen in Südeuropa, Afrika und großen Teilen Nordamerikas, feuchter wird die Witterung hingegen in Nordeuropa, Sibirien und in Monsungebieten. Das hat Auswirkungen auf die Wasserführung von Flüssen und auf die landwirtschaftlichen Erträge. Sehr unsicher sind die Vorhersagen hingegen für Stürme und Hurrikans.
Stagnation auf hohem Niveau
Allerdings gibt es in der Klimaforschung noch eine Reihe von Wissenslücken. Und diese werden von den Wissenschaftlern nicht verschwiegen: Unklar ist etwa die Rolle von Wolken – je nach Höhe und Zusammensetzung können sie einen wärmenden oder kühlenden Effekt haben. Auch der Einfluss anderer Faktoren auf das Klima, etwa der Sonne oder von Meeresströmungen, ist umstritten. Und weiterhin ist nicht restlos geklärt, warum die Erwärmung in den letzten zehn Jahren Pause gemacht hat – freilich auf sehr hohem Niveau: 13der wärmsten Jahre seit Beginn exakter Messungen (Mitte des 19.Jahrhunderts) wurden in den vergangenen 15 Jahren verzeichnet.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)