EU-Umweltrat: Deutscher Kuhhandel um CO2-Limits

Deutscher Kuhhandel CO2 Limits
Deutscher Kuhhandel CO2 Limits(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Berlin wehrt sich gegen strengere Richtwerte für Pkw und hat sich die Rückendeckung Frankreichs und Großbritanniens gesichert – offenbar nicht ohne Gegenleistung.

Brüssel. Eigentlich hätten die Umweltminister der Europäischen Union am Montag über künftige Kohlendioxid-Grenzwerte für Autos befinden sollen. Dass im Vorfeld des gestrigen Ministertreffens in Luxemburg alles auf eine Verschiebung dieser Entscheidung hingedeutet hat, lag nicht an einer fehlenden Gesetzesvorlage, denn Rat, EU-Kommission und Europaparlament hatten sich bereits im Juni auf einen Entwurf verständigt. Diese ursprüngliche Einigung wurde aber zuletzt von einem EU-Mitgliedsland torpediert, dessen Stimme in Brüssel besonders viel Gewicht hat: Deutschland.

95 Gramm CO2 je Kilometer

Der ursprüngliche Plan sah vor, dass der Grenzwert für den Schadstoffausstoß neuer Pkw von 2015 bis 2020 von 130 auf 95 Gramm Kohlendioxid (CO2) je Kilometer gesenkt werden soll. Um die (vorwiegend deutschen) Hersteller von PS-starken Limousinen nicht vom Markt zu verdrängen, sollte das Limit für die durchschnittliche Emission der gesamten Flotte eines Herstellers gelten und nicht für einzelne Modelle. Und dieser Durchschnittswert ließe sich noch weiter senken, und zwar durch sogenannte Supercredits – also mehrfach anrechenbare Boni für die Produktion von schadstoffarmen Elektro- und Hybridautos.

Dass Berlin über den Vorschlag alles andere als begeistert war, liegt auf der Hand: Mit rund 190 Milliarden Euro im vergangenen Jahr waren Autos (bzw. Fahrzeugkomponenten) der größte Einzelposten in der deutschen Exportstatistik. Und anders als ihre Konkurrenten in Italien, Frankreich oder Japan verdienen die deutschen Autohersteller ihr Geld nicht mit günstigen Kleinwagen, sondern vor allem in der Oberklasse – das gilt mit Abstrichen auch für den Volkswagen-Konzern. Um die Vormachtstellung von Daimler, BMW und Co. nicht zu gefährden, schlug die deutsche Regierung dem Vernehmen nach eine Streckung der Frist von 2020 bis 2024 vor. In den Brüsseler Couloirs wurden aber auch andere Varianten genannt, etwa eine Aufwertung der Supercredits zwecks Entlastung der deutschen Autobauer.

Umweltminister Peter Altmaier sieht seinen Widerstand jedenfalls als Beitrag für den Umweltschutz – gemäß dieser Lesart hat Deutschland eine Vorreiterrolle beim Umweltschutz im Allgemeinen und bei der Entwicklung sparsamer Motoren im Besonderen: „Aber ich sage als Umweltminister auch, dass wir darauf achten müssen, dass wir auf diesem Weg nicht Arbeitsplätze an Länder verlieren, die weniger Klimaschutz betreiben.“

Damit es ja nicht dazu kommt, führten die deutschen Regierungsvertreter in den vergangenen Wochen und Monaten eine regelrechte Lobbying-Offensive durch, um Verbündete zu gewinnen – offenbar mit Erfolg, denn dem Vernehmen nach sind mittlerweile auch Großbritannien und Frankreich auf die deutsche Linie eingeschwenkt.

Vor allem die französische Kehrtwende kommt überraschend, denn Frankreichs Autobauer Renault und PSA Peugeot Citroën sind auf die Herstellung von sparsamen Kleinautos spezialisiert und hätten somit weniger Probleme mit den CO2-Vorgaben. In Brüssel wird nun darüber spekuliert, dass Deutschland den Franzosen im Gegenzug eine Verschärfung des europäischen Emissionshandels zugesagt haben soll. Auch über den britischen Preis gibt es bereits Mutmaßungen. Nach einem Bericht des „Spiegel“ soll Berlin den Briten bei der Bankenunion Zugeständnisse versprochen haben. Altmaier zeigte sich im Vorfeld des Luxemburger Treffens überzeugt, dass es „eine ganz breite Mehrheit in der Europäischen Union für die richtige Entscheidung“ geben werde. Eine Einigung im Laufe „der nächsten Wochen“ sei möglich.

Innenpolitisches Spiel auf Zeit

Das Zeitfenster bleibt nicht mehr lange offen, denn auch das Europaparlament muss die CO2-Vorgaben mittragen – und zwar spätestens bis Anfang 2014, denn danach sind die Abgeordneten mit dem Europawahlkampf voll beschäftigt. Gelingt das nicht, folgt die Fortsetzung frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2014. Schwedens Umweltministerin Lena Ek hält die deutsche Vorgangsweise jedenfalls für „gefährlich“.

Eine Verzögerung käme Angela Merkel aber auch aus einem innenpolitischen Grund nicht ungelegen: Die CDU-Chefin verhandelt derzeit mit Sozialdemokraten und Grünen über die Zusammensetzung der nächsten Regierung. Beide Oppositionsparteien treten für strenge Abgasnormen ein – mit ihrem Spiel auf Zeit will die Bundeskanzlerin das Thema aus den laufenden Koalitionsverhandlungen nehmen.

AUF EINEN BLICK

Der ursprüngliche Plan sah bis 2020 eine Reduktion des CO2-Ausstoßes pro Kilometer auf 95 Gramm vor – dieses Limit sollte für den Durchschnitt der gesamten Flotte eines Autoherstellers gelten und nicht für einzelne Modelle. Zusätzlich vorgesehen waren sogenannte Supercredits – also Boni für die Herstellung von Elektro- und Hybridautos.

Berlin spricht sich für eine Streckung dieser Frist bis 2024 aus, um die (auf schwere Limousinen spezialisierten) deutschen Automobilhersteller zu schonen. Dem Vernehmen nach sind in der Zwischenzeit Frankreich und Großbritannien auf diese Linie eingeschwenkt. Wie der „Spiegel“ in seiner jüngsten Ausgabe berichtete, soll die deutsche Regierung den Briten im Gegenzug für ihre Unterstützung Zugeständnisse bei der in London alles andere als beliebten Bankenunion versprochen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.10.2013)

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