Rätselhafte radioaktive Wolke

Seit Wochen werden über weiten Teilen des Kontinents minimal erhöhte Mengen des Jodisotops 131 gemessen. Die Quelle könnte ein Hersteller von Medizintechnik sein.

Wien/Berlin/Prag/Oslo/Paris. Eine mysteriöse Wolke aus radioaktivem Jod, die sich seit ein paar Wochen über weiten Teilen Europas verbreitet hat, gibt Strahlenexperten in vielen Staaten Rätsel auf. Forscher hatten geringe Mengen des Radioisotops Jod 131 in der zweiten Jännerwoche zunächst im äußersten Norden Norwegens entdeckt. Bis Ende Jänner wurden die Partikel mittlerweile auch etwa in Finnland, Polen, Tschechien, Deutschland, Frankreich und Spanien gemessen – und zuletzt auch in Österreich.

Es handelt sich laut Österreichs Umweltministerium und anderen nationalen Behörden freilich um „ganz, ganz geringe Mengen“, die keinesfalls gesundheitsgefährdend seien.

Über die Herkunft der Isotope kann bisher freilich nur spekuliert werden: Ein Unfall in einem Atomkraftwerk oder ein möglicher russischer oder nordkoreanischer Kernwaffentest kommen jedenfalls nicht in Frage, so die Experten, obwohl in britischen Medien zeitweise über einen heimlichen russischen Kernwaffentest auf der russischen Insel Nowaja Semlja in der Arktis spekuliert worden war. Auch für einen Unfall auf einem Atom-U-Boot, bei dem es ein Strahlungsleck gegeben haben könnte, gab es zuletzt keine Anhaltspunkte. Bei Kernwaffentests und Atomunfällen werden zudem primär andere Isotope, etwa von Cäsium, gemessen.

Einsatz in der Krebstherapie

Denkbar sei indes laut der norwegischen Strahlenschutzbehörde primär ein Problem bei einem noch unbekannten Hersteller radioaktiver Medikamente, wie sie in der Strahlentherapie zur Krebsbehandlung oder etwa als Kontrastmittel eingesetzt werden, bei einem Transport solcher Substanzen oder in einem Krankenhaus, wo solche gelagert werden.

Die in der Luft über den genannten Ländern festgestellten Strahlungswerte hätten sowieso gerade noch an der Grenze der Messbarkeit gelegen, teilte auch die tschechische Strahlenschutzbehörde in Prag mit. „Es gibt daher keinerlei Grund zu irgendwelchen Sorgen um die Folgen für den Menschen“, erklärte ein Sprecher des Amtes. Besagte Spekulationen über einen Unfall in einem Kernkraftwerk nannte er letztlich einen „Unsinn“.

US-Spezialflugzeug im Einsatz

Zuvor hatte auch die französische Atomaufsichtsbehörde ISRN von ähnlichen Messungen berichtet. Die kurze Halbwertzeit von Jod 131 von nur rund acht Tagen deute darauf hin, dass die Radioaktivität erst in jüngster Zeit entwichen sei, hieß es in einer Mitteilung.

Britische Medien berichteten derweil, dass die US-Luftwaffe ein Spezialflugzeug vom Typ WC-135 nach England entsandt habe, das radioaktive Partikel in der Atmosphäre messen kann. Es solle nähere Prüfungen zur Verteilung der strahlenden Wolke und zum Standort ihrer möglichen Quelle vornehmen. (ag./red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2017)

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