Statt Himalaya schmilzt Glaubwürdigkeit

Everest
Everest(c) REUTERS (GOPAL CHITRAKAR)
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Der UNO-Klimabeirat, das IPCC, wirft anderen Forschern vor, was es offenbar selbst betreibt: "Voodoo-Wissenschaft".

Gibt es „Voodoo-Wissenschaft“ und den „Untergang der Welt durch schwarze Magie“? Letzteres klingt vertraut, es stammt von Karl Kraus und geißelte Publikationspraktiken. Lange nach Kraus konnte man etwa lesen, die Gletscher des Himalaya zögen sich rascher zurück als alle anderen und die Wahrscheinlichkeit sei „sehr hoch, dass sie bis zum Jahr 2035 und vielleicht früher verschwunden sein werden“. Das stand schwarz auf weiß im „4. Sachstandsbericht“ des UNO-Klimabeirats IPCC 2007 – das ist die Klimabibel, die den je letzten Stand der Wissenschaft offenbart –, die Dramatik wurde mit der Warnung gesteigert, es werde zu Trinkwasserproblemen in Indien kommen.

Nun ist der Himalaya das höchste Gebirge und das IPCC die höchste wissenschaftliche Autorität der Erde. Aber beide erodieren, der Himalaya aus natürlichen Gründen, das IPCC aus hausgemachten. Das begann im Vorfeld des Klimagipfels von Kopenhagen mit einem Hackerangriff auf den E-Mail-Verkehr unter IPCC-Klimatologen („Climategate“), durch den ans Licht kam, dass missliebige Daten am Öffentlichwerden gehindert werden sollten bzw. vernichtet worden waren, ausgerechnet Rohdaten.

Aber dabei ging es nicht um den Himalaya, der hat noch andere Dimensionen. Und das Problem, das das IPCC vor sich aufgetürmt hat, hat sie auch: Die Prognose des Gletscherverschwindens bis 2035 ist durch keinerlei Daten gedeckt, das IPCC hat nichts erforscht (schon gar nicht nach gutem Brauch mit „peer review“). Sondern alles abgeschrieben, aus einem Bericht der Umweltorganisation WWF aus dem Jahr 2005.

Auch die Umweltschützer hatten nicht selbst recherchiert, sondern aus einer noch älteren Quelle geschöpft: 1999 beschwor Umweltjournalist Fred Pearce im „New Scientist“ die Himalayaschmelze, er stützte sich auf ein Telefoninterview mit einem indischen Geologen und dessen Zusage, Schriftliches nachzuliefern.


Das kam nie. Aber die Story war nun einmal in der Welt. Und was in ihr ist, kommt so leicht nicht mehr hinaus. Anfang November 2009 publizierte das indische Umweltministerium einen Bericht des Glaziologen Vijav Raina: Er hatte die Gletscher im Himalaya begutachtet und fand vor allem bei den großen kein Schmelzen, sondern „praktisch einen Stillstand des Rückgangs“ (Science, 326, S.924). Die indische Presse nahm es auf und warf dem IPCC „Alarmismus“ vor. Der schlug zurück, durch seinen Vorsitzenden persönlich, Rajendra Pachauri, auch er Inder: „Voodoo-Wissenschaft“ habe Raina betrieben.

Ja, kann so eine Räubersgeschichte wahr sein? Erst Abgeschriebenes ungeprüft abschreiben, wenn es um Sein oder Nichtsein der Welt geht? Und dann andere belehren, was Wissenschaft ist? Die Aufdeckung der Abschreiberei kam in der „Sunday Times“, bei deren Lektüre ist man etwas vorsichtig. Aber dann bestätigte WWF Australien von selbst den den WWF betreffenden Part, WWF Österreich schloss sich auf „Presse“-Rückfrage an: „Wir bedauern, dass hier durch ungenaue Prognoseangaben ein alarmistisches Bild entstanden ist... und hoffen sehr, dass das Missgeschick nun nicht von Klimaskeptikern genutzt wird.“

Und das IPCC? Es will das Himalaya-Kapitel entfernen, falls der Kronzeuge, der am Anfang der ganzen Kette steht – der Informant des Journalisten Pearce –, aufklärt. Er hat es schon getan: Pearces Artikel sei „reine Spekulation“ gewesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.01.2010)

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