"Ab 2017 können wir Klimawandel nicht stoppen"

(c) AP (Frank Augstein)
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IEA-Chefökonom Fatih Birol befürchtet, dass die Krise den Klimawandel überdeckt und die Welt „entscheidende Jahre“ verliert. Generell sollten wir Energie aber viel effizienter einsetzen.

Die Presse: Sie haben sich angeblich noch nie ein eigenes Auto gekauft. Müssen wir alle so werden, wenn wir den Kampf gegen den Klimawandel noch gewinnen wollen?

Fatih Birol: Nein. Ich persönlich habe zwar nicht einmal einen Führerschein. In Paris (dem Sitz der IEA, Anm.) nehme ich die Schnellbahn. Hier in Wien bin ich heute ebenfalls mit der U-Bahn gefahren. Es gibt aber natürlich auch Menschen, die auf ihr Auto angewiesen sind. Generell sollten wir Energie aber viel effizienter einsetzen, etwa mehr auf öffentliche Verkehrsmittel setzen. Die Realität bewegt sich aber leider in die Gegenrichtung. So steigt die Zahl der Autos in China in rasantem Tempo von derzeit 30 Autos je 1000 Einwohner in Richtung europäisches Niveau von 500 Autos je 1000 Menschen.

Inder und Chinesen pochen aber auf ihr Recht, genauso viel Energie zu verbrauchen wie Europäer und Amerikaner. Ist das in Ordnung?

Sie haben das Recht, aber wenn sie es tun, dann hat das extrem negative Auswirkungen für den Klimawandel. Wir müssen daher China und Indien dazu bringen, unsere Fehler nicht zu wiederholen.

Das größte Wachstum beim CO2-Ausstoß kommt aus den Schwellenländern. Wie sehr kann Europa den Klimawandel noch beeinflussen?

Europa allein kann nicht viel ändern. In Europa wird derzeit darüber gestritten, ob die CO2-Emissionen bis 2020 um 20 oder um 30 Prozent sinken sollen. Der Unterschied entspricht dem Kohlendioxid-Ausstoß Chinas von zwei Wochen. Das ist lächerlich. Was immer Europa macht, hat einen moralischen Effekt. Wirklich beeinflussen kann Europa den Klimawandel aber nicht mehr.

Die Schwellen- und Entwicklungsländer subventionieren fossile Energie auch mit über 400 Mrd. Dollar pro Jahr.

Diese Subventionen sind ein Hauptgrund für den ineffizienten Umgang mit Energie in diesen Ländern. Von ihnen gehen auch nur acht Prozent an arme Teile der Bevölkerung. Wäre etwa Russland auf dem Effizienzniveau des OECD-Schnitts würden sie genau so viel Gas einsparen, wie sie in den Westen exportieren. Wir müssen diese Länder einfach überzeugen, dass es auch für sie besser ist, die Subventionen einzustellen.

Einen entsprechenden Versuch wird es nächste Woche bei der Klimakonferenz in Durban geben. Solche Konferenzen finden seit 20Jahren statt. Dennoch gab es 2010 einen neuen Rekord beim CO2-Ausstoß. Ist der Kampf gegen den Klimawandel bereits verloren?

Wenn wir bis zum Jahr 2017 nicht eine tief greifende Änderung bei den Investitionen in unser Energiesystem haben, werden wir den Kampf verlieren – für immer. Dann werden die bis dahin gebauten Fabriken und Kraftwerke über ihre Lebensdauer so viel CO2 emittieren, dass das Ziel von einer Klimaerwärmung um maximal zwei Grad nicht mehr zu halten ist. Verhindern könnte das nur ein verbindliches internationales Abkommen. So ein Abkommen könnte theoretisch in Durban abgeschlossen werden. Realistisch gesehen glaube ich aber nicht, dass es dort so weit kommt.

Der Klimawandel ist seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise im Jahr 2008 stark in den Hintergrund getreten. Ist der Verlust der öffentlichen Wahrnehmung ein Problem?

Der Druck der Öffentlichkeit ist jetzt natürlich viel geringer als vor ein paar Jahren.

Ist das nicht verständlich?

Natürlich ist es verständlich. Auf den Klimawandel komplett zu vergessen hat aber langfristig große Auswirkungen. Die kommenden zwei bis drei Jahre sind entscheidend. Derzeit kümmert sich die Welt um das Feuer in der Küche, der Schwelbrand im Wohnzimmer interessiert niemanden.

Wäre es vielleicht nicht besser, den Kampf gegen den Klimawandel überhaupt aufzugeben und das Geld dafür zu verwenden, uns auf eine Welt mit höheren Temperaturen vorzubereiten?

Bis 2017 sollten wir noch versuchen, die Temperaturänderung bei unter zwei Grad zu halten. Wenn wir es bis dahin nicht schaffen, ist es zu spät. Dann können wir den Klimawandel nicht mehr stoppen. Dann sollte die Strategie vielleicht geändert werden, sodass wir uns auf eine Welt mit erhöhten Temperaturen vorbereiten.

Zur Person

Fatih Birol ist Chefökonom der Internationalen Energieagentur. Der 1958 in Ankara geborene Birol ist neben seiner Tätigkeit bei der IEA auch Chef der Beratergruppe in Energiefragen des Weltwirt-schaftsforums in Davos und Mitglied der Gruppe für nachhaltige Energie, die vom UN-Generalsekretär ins Leben gerufen wurde. Birol lebte mehrere Jahre in Wien, da er an der TU Wien sein Doktorat abschloss und bei der Opec tätig war.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2011)

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