Jugend: Kein Wunsch nach Multi-Kulti

STUDIE. Österreichischen Jugendlichen sind gleichaltrige Türken weitgehend egal. Die gleichgültige Toleranz endet allerdings, wenn es um das türkische Rollenbild der Frau geht.

Wien. Gleichgültiges Nebeneinander statt Multi-Kulti: Österreichische Jugendliche haben kaum Kontakt mit gleichaltrigen Türken und wissen wenig über deren Alltag und Kultur. Gleichzeitig tolerieren sie das „Anders-Sein“ der türkischen Jugend, solange sie dadurch westliche Werte wie individuelle Freiheit und Gleichberechtigung nicht angegriffen sehen.

Das ist, knapp zusammengefasst, das Ergebnis der neuen „elf/18“-Jugendstudie, die das Wiener Institut für Jugendkulturforschung durchgeführt hat. Zum ersten Mal wurden dabei österreichische Jugendliche zwischen elf und 18 Jahren gefragt, wie sie zu jungen Türken der zweiten Generation – die also schon in Österreich geboren wurden – stehen. „Das ist ein sehr heißes und sensibles Thema, zu dem es bisher keine Daten gegeben hat“, sagt Studienleiterin Beate Großegger.

„Gleichgültige Toleranz“

Vor allem die große Bedeutung, die Religion im Leben der türkischen Jugendlichen hat, wird von den befragten 11- bis 18-Jährigen als „anders“ empfunden. (siehe Grafik). Sechs von zehn Befragten finden, dass die jungen Türken eine andere Einstellung zur Gleichberechtigung der Frau haben. Unterschiede orten viele auch in den Wertvorstellungen und im Kleidungsstil.

Mit diesem „Anders-Sein“ haben die meisten kein Problem. Die Toleranz endet jedoch dort, wo es um die Rolle der Frau geht: 77,9 % jener, die die türkische Einstellung als „anders“ empfinden, fordern, dass junge Türken ihre Einstellung zur Gleichberechtigung der Frau an die westlichen Werte anpassen sollten. „Das ist ein verblüffendes Ergebnis, dass sich die Jugendlichen so klar positionieren“, sagt Großegger. Und zwar quer durch die Bank: Ob Mädchen oder Bub, Lehrling oder AHS-Schüler, aus einem kleinen Ort oder einer großen Stadt: Der Stellenwert der Frau in der Gesellschaft hat für alle Jugendlichen großen Symbolwert. „Da geht es um Grundwerte der westlichen Gesellschaft wie individuelle Freiheit, die die Jugendlichen angegriffen sehen“.

Rund die Hälfte der Jugendlichen fordert außerdem, dass die jungen Türken eine liberalere Einstellung zur Sexualität annehmen, etwa im Bereich der sexuellen Selbstbestimmung der Frau. Zwei Drittel der Befragten finden, dass die türkischen Jugendlichen auch ihre Umgangsformen anpassen sollten. So empfinden viele lautes Gehabe türkischer Gruppen als unpassend.

Zu anderen Bereichen – etwa dem Freizeit- oder Fernsehverhalten der Türken – konnten viele Befragte keine Angaben machen. Was darauf hindeute, dass sie „einfach nichts über den Alltag der türkischen Jugendlichen wissen.“

„Sollen machen, was sie wollen“

Und das auch gar nicht wollen. „Es ist eine gleichgültige Toleranz“, sagt Studienleiterin Großegger. Nach dem Motto: Die sollen machen, was sie wollen. Wenn überhaupt, findet interkulturelle Begegnung nur oberflächlich statt. So liege es derzeit im Trend, zu orientalischen Clubbings zu gehen. Der Mythos von Multi-Kulti aber – der „findet einfach nicht statt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2007)

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