Wien ist Topdestination für Homosexuelle

Wien Topdestination fuer Homosexuelle
Wien Topdestination fuer Homosexuelle(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wien gilt als "Hidden Hero" homosexueller Reisender - die Stadt hat sich zu einer der schwulen Topdestinationen Europas gemausert. Doch statt Partys zu feiern geht es um Kultur, Genuss und Ästhetik.

Wien. „In diesem Moment trifft sich eine junge Frau mit Göttinnen, Herrscherinnen und Nymphen. Und Sie?“ Oder: Ein junger Mann trifft Helden, Prinzen, Götter. Das Bild zeigt diese als Steinskulpturen. Unschwer zu erraten, welche Zielgruppe Wien Tourismus mit diesen Sujets anlocken will: Lesbische, schwule, bi- oder transsexuelle Urlauber entdecken Wien. Und diese, besonders schwule Männer, gelten als Trendsetter, kaufkräftig, kulturinteressiert, tendenziell gebildet. Sie reisen im Schnitt vier- bis fünfmal pro Jahr häufiger als Heterosexuelle und geben auf Reisen mehr aus. Kurz: ziemlich attraktive Gäste.

„Zu 70 Prozent“, sagt Bernd Seiser, „wollen schwule Touristen in Wien genau das, was Heterosexuelle auch suchen.“ Kultur, die Sehenswürdigkeiten, den imperialen Charme der Stadt. Um die übrigen 30 Prozent will er sich kümmern. Seiser hat jüngst die Plattform Gayinvienna.com gestartet. Ein Wegweiser durch das schwule, lesbische, transsexuelle Wien, der Lokale, Shops oder spezielle City-Touren zeigt: etwa über den Zentralfriedhof, mit speziellem Fokus auf homosexuelle Größen, die dort begraben sind. Ähnliche Wien-Führer gibt es freilich. Neu, so Seiser, sei, dass diese um ein täglich aktuelles Event-Programm ergänzt werden.

Qualität statt Partyprinzen

„Die Nachfrage ist groß, pro Monat sucht 185.000-mal jemand via Google nach Gay Vienna oder Ähnlichem“, so Seiser. Und hoffe, nicht bloß einschlägige Seiten zu finden. „Anstelle von nackter Haut legen Homosexuelle heute größten Wert auf Qualität, Service und Inhalte“, sagt Seiser und spricht von einem „Professionalisierungsschub“ im Gay-Marketing. Besonders in Wien, schließlich ist die Stadt keine Destination für schwule Partyurlauber, für amouröse Abenteuer. Da bleiben Mykonos, Ibiza, Sitges die Hotspots Europas. Bei den Städten spiele Wien heute aber in einer Liga mit London, Berlin oder Barcelona. Erst jüngst nannte Dirk Baumgartl, Chef von Spartacus Traveler, dem einzigen deutschen Reisemagazin für Schwule, Wien neben Berlin als Topdestination.

Norbert Kettner, Wiens Tourismusdirektor, spricht von Wien als „Hidden Hero“ der Szene. Wien bewirbt Schwule und Lesben seit 1997 als eigene Zielgruppe, inseriert in deren Medien, ist in den Spezialkatalogen von Tui oder Dertour vertreten, wirbt auf Veranstaltungen wie der New York Pride. Seit 1999 gibt es einen speziellen Stadtplan, den Vienna GayGuide, seit 2002 den Queer Guide.

Wie Seiser setzt auch die Stadt auf elegante, dezente Bilder statt schreiend bunte Partyprinzen. „Homosexuelle Touristen sind für uns eine wichtige Zielgruppe“, sagt Kettner. Und eine, die wächst und wichtiger werde. Der Life Ball spiele „natürlich“ eine zentrale Rolle. Besonders aber locken die klassischen Werte Wiens: Kultur, gutes Essen, Schönheit und Ästhetik in allen Winkeln der Stadt, das imperiale Erbe, die Lokalszene, sagt Kettner. Und Kitsch, besonders, wenn es um Sisi geht. „Die Klischees stimmen schon“, meint Bernd Seiser. „Sisi hat eine unglaubliche Strahlkraft, wie Prinzessin Diana. Glamouröse, schöne Frauen, die ausgebrochen sind.“

Die Szene bezeichnet man beim Wien Tourismus als „klein, aber fein“. Sieben, acht große Partys feiert diese im Monat, so Seiser. Dazu kommen Clubs und Lokale wie Why Not, Wiener Freiheit, Felixx, Savoy, um die bekanntesten zu nennen. „Wir können stolz sein, was sich entwickelt hat: Life Ball, Regenbogenparade, das Filmfestival Identities, der Ball CanCan“, so Seiser. Dazu kommen Spezial-Shops für Crosdresser, Lokale für lesbische Frauen. „Aber das Angebot ist kleiner, sie fühlen sich oft vernachlässigt“, so Seiser. Auch, weil sich Gay-Marketing oft nur an Männer wendet. Eine besondere Herausforderung, so Kettner, seien künftig Regenbogenfamilien. Es gelte, den richtigen Ton zu finden. Diskriminierung hingegen sei in Wien kein Thema mehr. „Schwule als Aufreger und Feindbild, das holt außer ein paar Gestrigen niemanden mehr hinter dem Ofen hervor.“ Einen Wandel habe er rund um die Jahrtausendwende bemerkt.

Heute deklarieren sich 266 von 386 Hotels, die der Wien Tourismus listet, selbst als „gay friendly“. Ideal, so Seiser, sei freilich, wenn es kein spezielles Gay-Marketing, keine Schwulenzeitschriften mehr brauche, weil diese ohnehin präsent seien. Aber die Frage, ob Sondermarketing nicht erst recht ausgrenze, sei auch in der Szene ein heißes Thema.

Auf einen Blick

LGBT – das steht für Lesben, Gays, Bisexuelle und Transgender – lieben Wien. Die Stadt hat sich zu einer der schwulen Topdestinationen entwickelt. Seit Kurzem ist ein neues Portal für die Zielgruppe online. Geht man von einem Bevölkerungsanteil von fünf bis zehn Prozent aus, sorgen LGBT in Wien für bis zu 1,4 Mio. Gästenächtigungen im Jahr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2012)

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