Überwachung ohne Richter: Zuwachs um 56 Prozent

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Observationen und Ausforschungen mit Mobilfunk, Computern und Spezialgeräten stiegen seit 2009 auf jährlich 3086 Fälle. Nur 16 Operationen liefen gegen Islamisten, Extremisten und ausländische Spione.

Wien. Wir werden keinen Richter brauchen. Die beliebte Redewendung gilt für Österreichs Exekutive immer öfter, denn: Die Befugnisse der Polizei, ohne richterliche Aufsicht stark in die Bürgerrechte von verdächtigen, gesuchten oder gefährdeten Personen einzugreifen, werden immer häufiger ausgenutzt. Observationen und Ausforschungen mit Mobilfunk, Computern und Spezialgeräten nahmen seit 2009 um 56 Prozent zu. Das zeigt die erste Auswertung der Daten aus dem Innenministerium. Sie liegt der „Presse“ vor.

Genau genommen handelt es sich um Meldungen der Polizei an den Rechtsschutzbeauftragten des Ressorts. Setzen Beamte Maßnahmen wie zum Beispiel Handypeilung, Identifizierung eines Internet- und E-Mail-Nutzers oder Observationen mit technischen Hilfsmitteln ein, muss dieser – meistens im Nachhinein – informiert werden. 2011 war das in 3086 Fällen so. Für 2010 weist die Statistik 2276 Meldungen aus, 2009 sind 1975 Maßnahmen aktenkundig. Für 2008, das erste Jahr, in dem die Polizei entsprechende Maßnahmen nutzen durfte, existieren keine entsprechend detaillierten Daten.

Zurückzuführen sind die Befugnisse auf eine bis heute umstrittene Änderung des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) im Dezember 2007. Damals schleusten SPÖ und ÖVP die Novelle an Innenausschuss und Datenschutzrat vorbei durchs Parlament. Seither darf die Polizei eigenmächtig die Absender anonymer E-Mails und Website-Besucher ausforschen, Handys orten, Verdächtige filmen und belauschen, Kfz-Kennzeichen und andere persönliche Daten in Datenbanken speichern und „rastern“, sprich mit anderen Datenbeständen abgleichen. Alles ohne die Kontrolle der Justiz, wie es in Strafverfahren üblich ist.

Als Argument für die Änderung diente damals der Kampf gegen den Terror. Heute zeigt sich, dass dieser Bereich – zumindest zahlenmäßig – keine Rolle spielt. Die sogenannte „erweiterte Gefahrenerforschung“ erlaubt dem Verfassungsschutz, Gruppierungen, die laut polizeilicher Einschätzung eine Gefahr darstellen könnten, zu observieren. Seit Frühling 2012 gilt das auch für Einzelpersonen.

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Islamisten und Spione

Um Missbrauch zu verhindern, muss der Rechtsschutzbeauftragte die erweiterte Gefahrenerforschung, die – bis auf das Abhören von Telefonen – von verdeckten Ermittlungen über Peilsender und Videoaufnahmen praktisch alles erlaubt, vorab genehmigen. Die Genehmigungen gelten befristet, müssen, wenn sie verlängert werden sollen, erneut beantragt werden. Daher ist die Zahl der Meldungen (46) höher als die der tatsächlichen Operationen.

2011 führte der Staatsschutz 16 entsprechende Aktivitäten durch. Nahezu drei Viertel (die exakte Zahl ist geheim) davon betreffen islamistische oder separatistische (kurdische PKK) Bewegungen. Die verbliebenen Maßnahmen trafen Fundamentalisten anderer Religionen, Links- und Rechtsextremisten sowie Spionageaktivitäten.

Bürger geraten öfter ins Visier. Diese Maßnahmen sind es auch, die hauptsächlich für die steigenden Überwachungsaktivitäten der Polizei verantwortlich sind. Darunter fallen: Ortung von Mobiltelefonen, Auswertung privater Überwachungskameras und der Einsatz automatischer Kennzeichenerfassungsgeräte (siehe Grafik).

V.a. diese Geräte, die auf Autobahnen Fahrzeuge scannen und mit einer Fahndungsdatei abgleichen, kommen immer häufiger zum Einsatz. Nach 167 „Scharfschaltungen“ 2009 und 398 ein Jahr später waren die elektronischen Augen 2011 ganze 629 Mal aktiv. Das entspricht fast einer Vervierfachung.

937 Mal meldete die Exekutive im Vorjahr die Verwendung von privatem Videomaterial für ihre Zwecke. Auch das ist ein erheblicher Anstieg und bedeutet, neben der steigenden Beliebtheit bei der Polizei selbst, vor allem, dass immer mehr Österreicher entsprechende Anlagen installieren. 98 Prozent aller Fälle dienten zur Ausforschung von Tätern wie zum Beispiel Einbrechern oder Kaufhausdieben. Nur zwei Prozent der Meldungen betrafen Einsätze, in denen eine Gefahr präventiv verhindert werden sollte.

Während sich die Grünen Verbesserungen im Rechtsschutz – etwa nachträgliche Informationen für die Betroffenen – wünschen, hält die Regierung das gegenwärtige System mit der Kontrollfunktion des Rechtsschutzbeauftragten für ausreichend.

Diese Funktion übt der emeritierte Strafrechtsprofessor Manfred Burgstaller aus. Er sagt, dass die von ihm geprüften Fälle keine Rückschlüsse auf Missbrauch zuließen. Im Gegenteil. „Ich habe das Gefühl, dass die Polizei sehr sorgfältig mit diesen weitreichenden Überwachungsbefugnissen umgeht.“

In knapp zehn Fällen jährlich sei die Rechtslage jedoch strittig. Die betroffenen Personen würden dann von ihm informiert. Diese können sich dann selbstständig an die Datenschutzkommission oder einen Unabhängigen Verwaltungssenat wenden. Wie viele das tun, ist nicht bekannt.

Auf einen Blick

Seit 2007 verfügt die Polizei über eine Reihe von Befugnissen zur Überwachung. Zweck: Abwehr möglicherweise bevorstehender Straftaten. Begründet die Exekutive ihr Vorgehen, darf sie ohne richterliche Kontrolle u.a. Handys orten, bestimmte persönliche Daten rastern, das Internet überwachen oder Videos anfertigen. 2011 meldete die Polizei 3086 entsprechende Einsätze an den Rechtsschutzbeauftragten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2012)

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