Beispiel Brunnenmarkt: Die Schattenseiten des Hypes

(c) Clemens Fabry
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Jetzt gesteht auch die Stadt Wien ein, dass den Einkommensschwachen eine Verdrängung droht, befürchtet der Stadtforscher Johannes Gielge. Bisher nannte die Stadt diesen Prozess „sanfte Stadterneuerung".

Wien. „Die Warteliste für Vormerkungen im Brunnengrätzel wird immer länger“, sagt Christopher Rudolf, Makler bei Resag-Immobilien. Zu seinen Kunden zählen jene, die gern mehr für eine Wohnung im Trendviertel zahlen (können). Interessenten zieht es von der Innenstadt über den Gürtel hinaus. Nach Spittelberg und Naschmarkt drohe auch dem Brunnenmarkt Gentrifizierung: eine Entwicklung also, bei der durch Aufwertung eines Stadtteils Einkommensschwache wegen Wohnkostensteigerung verdrängt werden.

Das befürchtet etwa der Stadtforscher der MA 18 für Stadtentwicklung und -planung, Johannes Gielge. Nicht einzuschätzen sei auch eine mögliche Verdrängung sozial schwacher Mieter im 10.und 15. Bezirk, nach dem Bau der BahnhofCity des Zentralbahnhofs und der bereits fertiggestellten BahnhofCity Wien West.

Bisher nannte die Stadt diesen Prozess „sanfte Stadterneuerung“, bei der sanierungsbedürftige Viertel behutsam erneuert und dadurch aufgewertet werden. Durch den Druck und die Konzentration des Immobilienmarktes auf einzelne Grätzel sei Gentrifizierung aber auch im Brunnenviertel unaufhaltsam, meint Gielge. Denn durch das Aufwertungsprojekt der Stadt Wien, 2004 bis 2010, witterte der Immobilienmarkt Investitionsmöglichkeiten, das Brunnengrätzel wurde zu einem teuren Wohngebiet. Kunst- und Kulturinitiativen, wie die Brunnenpassage der Caritas, das Projekt Soho Ottakring oder die Galerien und der Kulturtreffpunkt Ragnarhof in der Grundsteingasse tragen ebenfalls dazu bei. Sowohl die Stadt als auch der Bezirk wünschen sich dennoch, dass Wohnen leistbar bleibt.

Substandard neben Luxus

Gegen Mieterhöhungen können Mieter bei der Schlichtungsstelle der Stadt Einspruch erheben. Der Präsident der SP-nahen Mietervereinigung, Georg Niedermühlbichler, sieht das jedoch kritisch: „Die Schlichtungsstelle entscheidet, ob eine Mieterhöhung gerechtfertigt ist. Die Mitarbeiter sind aber überlastet, sodass sie sich die Verträge nicht genau ansehen können.“ Mieter des Brunnengrätzels würden von der Gebietsbetreuung zwar informiert, mietrechtlich aber nicht betreut werden. Ihnen werde bloß empfohlen, bei Kostensteigerungen zur Schlichtungsstelle zu gehen, „bei der die Anträge von nicht juristisch vertretenen Mietern rasch abgelehnt werden,“ sagt Niedermühlbacher. Mieter, die in Substandardwohnungen wohnen (ohne WC, Wasser), sind so gezwungen, mit Kostensteigerungen zu leben. „Substandardwohnungen befinden sich neben topsanierten Wohnungen. Ein Erfolg der Durchmischung sozialer Schichten“, sagt Gebietsbetreuer Kurt Smetana. Jedoch bemerke auch er eine steigende Erhöhung des Lebensstandards, die 2013 untersucht werden müsse.

Und wer lebt in diesen Substandardwohnungen? Mehr Mieter mit exjugoslawischen und türkischen Wurzeln als Österreicher, so der Statistik-Austria-Bericht „Migration & Integration 2012“. Eine Bevölkerungsschicht, deren Nettojahreseinkommen von 2005 bis 2010 lediglich um sechs Prozent gestiegen ist, während sich das Einkommen der Österreicher um 14 Prozent vermehrt hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2012)

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