Fußfessel für Sextäter: Neue Widersprüche

APA/GEORG HOCHMUTH
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Der Entscheid des Verwaltungsgerichtshofes, wonach ein fünffacher Vergewaltiger keinen einzigen Tag in Haft muss, wirft ein Schlaglicht auf den Täterhilfeverein „Neustart". Auch die Fußfesseltechnik sorgt für Wirbel.

Wien. Der Wirbel um die Fußfessel hält an: Am Mittwoch gab der Verwaltungsgerichtshof (VWGH) bekannt, dass ein heute 52-jähriger Salzburger, der eine Jugendliche fünf Mal vergewaltigt hatte, nicht ins Gefängnis muss (DiePresse.com berichtete). Er darf seine - niedrige - Strafe, sechs Monate Haft, im Hausarrest verbringen. Überwacht wird B. mit einer elektronischen Fußfessel. Bis es so weit ist, soll die Täterhilfe-Organisation „Neustart" einen neuen Bericht erstellen. Schon einmal hatte der Verein grünes Licht für die Fußfessel gegeben. Die Haftanstalt hatte sich aber darüber hinweggesetzt.

Die Anstalt hatte wegen einer ablehnenden Stellungnahme der Begutachtungsstelle für Sexualstraftäter (Best) den Hausarrest verweigert. Die Vollzugskammer des Oberlandesgerichts Linz hatte keine Bedenken gehabt - und den Hausarrest gewährt. Dagegen beschwerte sich wiederum die Vollzugsdirektion in Wien - allerdings erst, nachdem das Opfer an die Medien gegangen war. Diese Beschwerde wurde nun vom VWGH überraschend abgeschmettert.

Zurück zum Verein „Neustart": Dessen in Salzburg im Mai erstellter, die Fußfessel befürwortender Bericht war Grundlage für das „Ja" der Linzer Vollzugskammer. Im Kammerbescheid steht: „Hinweise auf Vorfälle bzw. Risikofaktoren, die mit Grund befürchten lassen, der Antragsteller werde die Vollzugsform des elektronisch überwachten Haushaltes missbrauchen (sic!), liegen nicht vor."

Dazu muss man wissen: Als „Neustart Salzburg" damals seinen positiven Bericht schrieb, existierte bereits die erwähnte ablehnende Stellungnahme der Begutachtungsstelle „Best". Diese lag der Haftanstalt vor. Sie wurde aber nicht an „Neustart" weitergereicht. Man begründete diese Verweigerung mit dem - umstrittenen - Hinweis auf Datenschutz. Noch war nicht viel passiert, denn die Justizanstalt Salzburg entschied ja (dem „Neustart"-Bericht zum Trotz) gegen die Fußfessel. Die Anstalt folgte der Begutachtungsstelle. Diese hatte bei B. „mangelnde Delikteinsicht" festgestellt.

Opfer vermisst Reue des Täters

„Neustart Wien" lud das Opfer kürzlich zu einem Gespräch ein. Dabei erfuhr die heute 22-Jährige, dass „Neustart" den Verurteilten als einsichtig erlebt haben will. Dies widerspricht allen diesbezüglichen Aussagen des Opfers. Es widerspricht auch dem Gerichtsurteil wegen fünffacher Vergewaltigung und einer versuchten Vergewaltigung - dort ist von „völliger Uneinsichtigkeit des Angeklagten" die Rede. Im Rahmen dieses Gesprächs mit „Neustart" wurde dem Opfer auch eine Unterredung mit dem Täter angeboten. Die Frau lehnte entsetzt ab, wie „Die Presse" erfuhr. Nun wartet die 22-Jährige auf den neuen Bericht von „Neustart", der aber an der Gewährung der Fußfessel nichts mehr ändern dürfte.

Die Konsequenzen aus dem Fall laut Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP): Künftig sollen Sexualstraftäter mindestens die Hälfte ihrer Haftstrafe absitzen müssen, ehe sie einen Antrag auf Hausarrest stellen können. Schon derzeit gilt, dass die Umwandlung einer Gefängnisstrafe in Hausarrest nur bei einer (Rest-)Haft von maximal einem Jahr zulässig ist.

Wie berichtet wird auch technisch aufgerüstet. Sextäter sollen GPS-Fußfesseln bekommen. Derzeit können Fesselträger, wenn sie - etwa zum Arbeiten - außer Haus gehen, überhaupt nicht geortet werden. Nur in der Wohnung stellt der in die Fessel eingebaute Sender einen kontrollierbaren Kontakt zu einer Basisstation her. Bei der Lieferung der neuen Technik hat das Justizressort bisher auf eine Neuausschreibung verzichtet. Vor zwei Jahren, bei Einführung der Fußfessel, erhielt die Firma Elmo-Tech den Zuschlag (23. August 2010). Wenige Tage danach wurde bekannt, dass Elmo-Tech vom Konzern 3M (Managing Director Felix Thun-Hohenstein) gekauft worden war. Die Vergabesumme für drei Jahre Laufzeit inklusive der Möglichkeit einer zweijährigen Vertragsverlängerung betrug 2.687.042,50 Euro.

(c) Die Presse

Vergabe mit Schönheitsfehler

Doch die Vergabe hatte einen vom Rechnungshof (RH) bemängelten Schönheitsfehler: Ein ominöser „Lenkungsausschuss" sei „in den gesamten Vergabeprozess eingebunden und entscheidungsbefugt" gewesen. Dieser Ausschuss hielt drei Sitzungen ab. Doch: „Sitzungsprotokolle existieren nicht." In welche Richtung „lenkte" dieser Ausschuss, und wer gehörte ihm an? Dies war für den Rechnungshof „nicht feststellbar". Unter anderem saß laut „Presse"-Informationen das für Strafvollzug zuständige Kabinettsmitglied Cornelia Leitner in dem Gremium (Ministerin war Claudia Bandion-Ortner, ÖVP). Leitner ist mittlerweile Chefin der Justizanstalt Feldkirch.

Eine „Presse"-Anfrage nach ihren damaligen Kollegen im „Lenkungsausschuss" ließ Leitner unbeantwortet. Und im Justizministerium hält man die Namen weiter geheim. Auch die Kosten der neuen Fußfesseltechnik werden nicht beziffert. Nur so viel: Es handle sich um „minimalen Mehraufwand".

Die Konkurrenz hat weniger Verständnis. Der Österreich-Chef des Sicherheitstechnikanbieters G4S, Matthias Wechner, sagt: „Electronic Monitoring braucht wieder Vertrauen. Eine GPS-Erweiterung, und eine damit wohl notwendige Neuausschreibung, ist dazu ein wichtiger Schritt."

Auf einen Blick

Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes sorgt für Unverständnis – insbesondere bei einer jungen Frau, die wiederholt Opfer eines Sexualstraftäters geworden ist. Der Mann darf die seit sechs Jahren offene sechsmonatige Haftstrafe zu Hause, überwacht mit einer elektronischen Fußfessel, „absitzen“. Er muss keinen einzigen Tag ins Gefängnis. Der Opferhilfeverein „Neustart“ soll vorab einen neuen Bericht schreiben – danach soll der Hausarrest beginnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 2. November 2012)

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