Einkaufen trotz des Sonntagsverbots

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Offiziell ist man in Wien, mit Ausnahme der Tourismusvertreter, gegen die Sonntagsöffnung. Das hält die Wiener aber nicht davon ab, die gesetzlichen Schlupflöcher zu nutzen und sonntags einzukaufen.

Die alte Dame ist beunruhigt. Ein bisschen fürchte sie sich schon vor dem Trubel. Immerhin hat mit dem Einkaufszentrum „The Mall“ am Bahnhof Wien Mitte nicht gerade ein kleines Exemplar eröffnet. Shoppen auf 30.000Quadratmetern verspricht das moderne Gebäude, in dessen Untergeschoßen ein paar Anbindungen des öffentlichen Verkehrs untergebracht sind. Auch wenn längst noch nicht alle Geschäfte den Betrieb aufgenommen haben, bei der Eröffnung vergangenen Donnerstag herrschte Hochbetrieb. Hektisch irrten die Menschenmassen von einem Geschäft zum anderen – stets die Angst im Nacken, dass vielleicht ein anderer das letzte Tagesschnäppchen ergattern könnte und man selbst mit leeren Händen nach Hause gehen muss.

Aber gut, es ist Eröffnung und auch bald Weihnachten, da kann man schon einmal beim kollektiven Kaufrausch mitmachen. „Aber am Sonntag“, fragt die Dame besorgt den Security-Mann, „am Sonntag ist ja wohl doch Ruhe, oder?“ Auch sie hat gehört, dass es da für Bahnhöfe Ausnahmen gibt und Geschäfte trotzdem öffnen dürfen. „Wissen Sie, ich habe das beim Praterstern gesehen, das war ein Wahnsinn am Sonntag, das will ich hier nicht“, sagt sie. Der junge Sicherheitsmann kann die Dame beruhigen: „Nein, nein, keine Angst. Am Sonntag hat nur der kleine Interspar pronto offen, der große hat zu, und die anderen Geschäfte auch.“ Das wollte sie hören. Denn im Vergleich zum 2700 Quadratmeter großen Interspar-Hypermarkt ist die Pronto-Version mit ihren 80 Quadratmetern nicht der Rede wert – zumindest für die Seniorin, die den Trubel verlässt. Sie will ihre Einkäufe unter der Woche erledigen.

Alle anderen haben ab heute aber eine – zentral gelegene – Möglichkeit mehr, sich auch am Sonntag mit Lebensmitteln und Reiseproviant einzudecken: von der Imperial-Torte, über frisches Sushi-to-go oder Champagner bis zum Katzenstreu und der Strumpfhose der Billigmarke S-Budget.


Weltanschauung versus frische Milch. Der Supermarkt in Wien Mitte reiht sich somit, zusammen mit einer ebenfalls dort angesiedelten Trafik und einer Bäckereifiliale, in die Reihe jener Geschäfte, die ganz legal das generelle Verbot der Sonntagsöffnung für den Handel umgehen und damit gutes Geschäft machen. Denn eigentlich muss der Handel ja am Sonntag schließen, aber es gibt Ausnahmen – und Menschen, die diese nutzen. In Sachen Sonntagsöffnung herrscht in Österreich eine Art Doppelmoral. Viele Österreicher – allen voran die Vertreter des Handels und der Politik – sind prinzipiell gegen die Sonntagsöffnung. Argumentiert wird das gern mit der Weltanschauung, den Verkäuferinnen, die dann noch mehr Schwierigkeiten hätten, Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen, und den hohen Personalkosten. Aber wie das bei Weltanschauungen oft der Fall ist, werden manchmal Details übersehen: das eigene Handeln zum Beispiel. Denn: Wenn einmal die Milch ausgeht und die Tante plötzlich zum Sonntagskaffee kommt oder schlicht die frischen Semmeln – gerade am Sonntag – jenen vom Vortag vorgezogen werden, dann wird sie gern in Anspruch genommen, die Möglichkeit, auch sonntags einkaufen gehen zu können.

Etwa am Praterstern, im Nordbahnhof, im AKH, im Westbahnhof, an den Dutzenden Tankstellen, mit denen vermehrt Supermarktketten kooperieren oder bei den kleinen – meist türkischen – Greißlern, die ihrem Gewerbe dank gesetzlicher Grauzonen (siehe unten) auch am Sonntag nachgehen.

Dass diese Möglichkeit auch dankend angenommen wird, macht an einem Sonntag ein Besuch des Westbahnhofs deutlich. Dort haben nämlich seit mehr als einem Jahr in dem angeschlossenen Einkaufszentrum eine Handvoll Geschäfte auf verkleinerter Fläche geöffnet. Und sie sind gut besucht. In dem, wie es das Gesetz will, nur 80Quadratmeter großen Mini-Merkur-Markt sorgen eigens beschäftigte Ordner dafür, dass einander die Einkaufswilligen nicht gegenseitig niedertrampeln – fast den ganzen Tag über steht eine lange Schlange vor dem Eingang zu dem Verkaufsbereich. Wer hier am Sonntag einkaufen möchte, muss sich auf mindestens eine Viertelstunde Wartezeit einrichten. Unter der Woche würde das wohl kaum jemand in Kauf nehmen.


Traumhafte Umsatzzahlen. „Die Umsätze sind enorm hoch“, bestätigt Karin Nakhai, Pressesprecherin des Rewe-Konzerns, der unter anderem hinter Merkur steht. Auch die ebenfalls dem Rewe-Imperium zugehörigen Billa-Geschäfte, die am Sonntag offen halten – etwa am Praterstern –, würden „traumhafte“ Umsatzzahlen verzeichnen. Trotzdem sei der Konzern – wie viele seiner Konkurrenten – durchwegs zufrieden mit der geltenden Rechtslage: „Eine generelle Sonntagsfreigabe streben wir nicht an“, sagt Nakhai. Die möglichen Ausnahmen werde man nutzen, eine Erweiterung sei „nicht notwendig“. Was Rewe allerdings nicht davon abhält, seine Sonntagsaktivitäten nach und nach auszuweiten. Etwa im Bereich der Tankstellenshops: 110Geschäfte, die an die Kette „Jet“ angeschlossen sind, beliefert Rewe bereits unter der Markt „Billa stop & shop“ – und derzeit läuft ein Pilotprojekt an fünf BP-Tankstellen, dort die Kette „Merkur inside“ zu etablieren. Mögliches Ausbaupotenzial: bis zu 100Geschäfte, die sieben Tage die Woche offen halten könnten.

Ähnlich verhält es sich bei Spar. Die Supermarktkette betreibt etwa in den Bahnhöfen Salzburg und Graz sowie auf dem Flughafen Wien-Schwechat und Graz Filialen. In Wien soll nach der Filiale im Bahnhof Wien-Mitte auch ein Interspar pronto im neuen Hauptbahnhof eröffnen. Im Salzburger Bahnhof hat Spar seit Mai – dank Sondergenehmigung von der Landeshauptfrau – seine rund 400 Quadratmeter große Filiale und einen beinahe ebenfalls so großen Gastronomiebereich auch sonntags geöffnet. „Das läuft von der ersten Sekunde an hervorragend, die Frequenz ist sehr hoch“, sagt Unternehmenssprecherin Nicole Berkmann. Auch mit den Spar-express-Tankstellenshops sei man höchst zufrieden. „Das machen wir seit zwei Jahren. Wir haben jetzt 50 in ganz Österreich und wollen bis Ende nächsten Jahres auf 115 aufstocken.“ Mehr Spielraum speziell am Sonntag will man von politischer Seite aber nicht verlangen. „Die Genehmigungen reichen ja aus, wir sind zufrieden“, so Berkmann.


Innenstadt nicht interessiert. Die Vertreter der Wiener Kaufleute fordern ebenfalls keine Erweiterung der Öffnungszeiten. Sie gehen gar noch einen Schritt weiter und wehren sich dagegen. Die hohen Personalkosten würden das bisschen mehr Umsatz nicht ausgleichen, meint etwa Friedrich Jonak, Obmann der IG Kaufleute am Graben. Dass gerade dieser von zahlungskräftigen Touristen besucht wird, glaubt er nicht. „Die Touristen, die sonntags mit dem Autobus angekarrt werden, sind für uns keine Käufer. Die Wiener machen einen Ausflug, und die paar, die trotzdem einkaufen, bringen die hohen Kosten nicht rein.“ Erwin Pellet, Spartenobmann Handel der Wiener Wirtschaftskammer, spricht gar, wie oft in der Vergangenheit, von einem drohenden Händlersterben, wenn die Sonntagsöffnung kommen sollte. Er meint, dass davon nur die Großen Player profitieren würden. Anders sieht das Wien-Tourismus-Chef Norbert Kettner. Wien entwickle sich immer mehr zu einer Luxusdestination, hinke aber bei den Öffnungszeiten im internationalen Vergleich nach.

Während andere die gesetzlichen Schlupflöcher nutzen, sind kleinere Geschäfte weniger streng und öffnen trotzdem. Das Wiener Marktamt registriert einen Anstieg der Anzeigen wegen Sonntagsöffnung. Im Vorjahr gab es bei 1500 Kontrollen 400 Anzeigen, 2009 waren es noch 289 Anzeigen. Die Höchststrafe in der Höhe von 1090 Euro dürfte diese Kaufleute nicht abschrecken – oder bereits in der Portokassa liegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)

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