Wo die toten Tiere liegen

(C) Fabry
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Seit einem Jahr können Wiener ihre Tiere auf dem Tierfriedhof Wien begraben. Das ist für viele wichtig. Die Bindung zu einem Tier dauert oft Jahre über dessen Tod hinaus an.

Am Tag, an dem Simba begraben wird, regnet es. Insofern fallen die Tränen, die Saliha D. über die Backen laufen, gar nicht weiter auf. Es hätten ja auch Regentropfen sein können, die ihr ins Gesicht gefallen sind. „Er war wie ein Kind für mich. Ein richtiges Familienmitglied“, sagt die 53-Jährige leise.

Neben der molligen Frau mit den dunklen Haaren stehen Sohn Süleyman, 18 Jahre, und Tochter Halide, 16Jahre alt. Starr blicken sie auf den Kartonsarg in der Aufbahrungshalle des Tierfriedhofs Wien, in der der tote Bernhardinermischling Simba liegt.

Seit fast einem Jahr haben Tierbesitzer in Wien die Möglichkeit, ihre verstorbenen Haustiere auf dem Tierfriedhof Wien, direkt gegenüber dem Zentralfriedhof, zu begraben. „85Beisetzung hat es seit der Eröffnung gegeben“, sagt Hermann Hahner, Leiter des Tierfriedhofs. Zwei Drittel davon sind Hunde, ein Drittel Katzen, weiters wurden fünf Kaninchen und ein Hamster begraben. Außerdem hat er bereits 13 Lebzeitengräber verkauft: Das Haustier lebt noch, und wenn es stirbt, hat es schon seinen Platz auf dem Friedhof.

Fotoshow und Musik.Friedhofsleiter Hahner ist Mädchen für alles auf dem Friedhof. Er ist von der Aufbahrung, der Durchführung der Begräbnisfeierlichkeiten bis zum reibungslosen Ablauf für alles zuständig. Er sagt Abschiedsworte, dekoriert den Sarg mit Blumen, legt klassische Musik in den CD-Player und bereitet die Fotos für die Powerpoint-Präsentation vor, die manchmal bei der Verabschiedungszeremonie auf dem Flatscreen im Aufbahrungssaal läuft.

Vor seiner Arbeit auf dem Tierfriedhof war er Beerdigungsleiter in Wien. „Aber jetzt bin ich älter und brauch's ruhiger“, sagt der 51-Jährige. Jede Woche gräbt er nun im Durchschnitt ein bis zwei Tiere ein. „Es ist nicht viel, aber die Leute freuen sich“, sagt der Mann mit den grauen Haaren. Zum Vergleich: Im Wiener Tierkrematorium werden rund 130 Tiere im Monat eingeäschert. Die Wiener Tierkörperbeseitigung, die tote Tiere entsorgt, musste heuer bereits 2206 Hunde, 4374Katzen und 1325 Hasen abholen. Trotzdem wird der Tierfriedhof nächstes Jahr wegen Platzmangels um 70 bis 80 Gräber erweitert.

Ekel vor dem Container. Für Saliha D. war es eine „Ehrensache“, ihren Hund auf dem Friedhof zu begraben. Dabei wäre es fast nicht so weit gekommen. „Wir haben in der Stadt angerufen, und die haben uns gesagt, wir sollen den Hund im Elften in einen Sammelcontainer (der Tierkörperbeseitigung, Anm.) werfen“, sagt Süleyman. Der Ekel lässt ihn schaudern. „Da liegen auch noch andere Tiere drinnen. Das hätten wir nicht tun können.“ Erst durch das Internet hätten sie vom Tierfriedhof erfahren.

„Für einen Tierliebhaber ist es das Schlimmste, wenn er sein Tier nicht begraben kann“, sagt Manfred Maier, Friedhofsleiter des niederösterreichischen Tierfriedhofs Waldesruh. Den Tierfriedhof in Sierndorf, etwa eine halbe Stunde von Wien entfernt, gibt es schon seit 30 Jahren, vor wenigen Jahren wurde er vom Österreichischen Tierschutzverein neu eröffnet. Mehr als 220 Hunde, Katzen, Meerschweinchen und Hamster liegen hier begraben, manche von ihnen schon seit 15 Jahren.

„Die Bindung eines Menschen zu seinem Tier dauert lang“, sagt Maier. Aus Erfahrung weiß er, dass die Leute noch lange nach dem Tod des Tieres das Grab besuchen. „Manchmal sogar schon mit dem neuen Haustier.“ Wie lange so eine Bindung dauert, zeigt der Fall eines vor 15 Jahren auf dem Friedhof beerdigten Siebenschläfers. „Den mussten wir auf Wunsch der Besitzerin exhumieren und ihr die Asche in der Urne zukommen lassen. Sie war schon zu alt, um zu uns zu kommen.“

Auch auf dem Wiener Tierfriedhof kommen Tierbesitzer ihre verstorbenen Haustiere regelmäßig besuchen. Sie sitzen auf Bänken und halten die Gräber instand. Viele sind liebevoll dekoriert, haben Grabsteine mit Inschriften, sind mit Tierfiguren, Blumen, Schleifen, Fotos verziert. Das Grab von „Sonja“ schmückt ein Blumentopf in Hundeform. Für die ewige Ruhe ihrer Tiere sind die Tierbesitzer bereit, verhältnismäßig viel Geld auszugeben. Rund 16Euro im Monat kostet ein günstiges Grab (Reihengrab) im Tierfriedhof Waldesruh, der sich ob seiner Nähe zu Wien übrigens auch „Wiener Tierfriedhof“ nennt. Das ist teurer als auf dem Tierfriedhof Wien, wo ein vergleichbares Angebot 7 bis 14 Euro im Monat kostet. Standardmäßig werden die Tiere hier im Kartonsarg begraben, es gibt aber Luxusvarianten mit Holzsarg; oder einen Stellplatz in der Urnenwand. Dann kommen manchmal noch der Grabstein (450 bis 643 Euro) und die Grabpflege (435 bis 685 für fünf Jahre) hinzu. Dafür ist die Bestattungszeremonie auf beiden Friedhöfen kostenlos. „Es gibt Fälle, in denen wir die gesamte Trauerzeremonie übernehmen, weil der Besitzer die Beisetzung nicht ertragen kann. Und es gibt Fälle, in denen eine Großfamilie kommt und selbst eine Feier mit Musik und Gedichten gestaltet“, erzählt Maier.

Auf dem Tierfriedhof Wien hat Familie D. ein Fotoalbum mitgebracht, in dem alle noch einmal blättern. Dann kommt Friedhofsleiter Hahner, legt den Sarg auf eine Bahre, geleitet ihn zum offenen Grab und lässt ihn im Erdloch verschwinden. Ein bisschen ratlos sehen Saliha D. und ihre Kinder zu, während Hahner Schaufel um Schaufel das Erdloch schließt. Sie werfen noch Blumen ins Grab. Dann hat Simba seine letzte Ruhe gefunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2012)

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