Wien: Wie die reichen Russen die Stadt verändern

(c) Clemens Fabry
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Die Luxusbranche hat Wien als Einkaufsstadt entdeckt. Daran sind die russischen Kunden, die sich kurz- oder langfristig hier niederlassen, nicht ganz unbeteiligt.

Champagner in Strömen, glitzerndes Gold am ganzen Körper, dazu viel und teurer Pelz, Handtaschen, auf denen überdimensional das Logo jener Marken angebracht ist, die die Aufgabe haben, über den Lebensstil und die Vermögensverhältnisse der Trägerinnen – manchmal auch ihrer Sponsoren – Auskunft zu geben, und das Ganze in Verbindung mit jungen, hübschen, blonden Damen und älteren Heeren, die den optischen Gegenpart darstellen. Hinzu kommt die kleine Schadenfreude, dass man mit Geld zwar wirklich viel kaufen kann, Geschmack aber nicht. Ungefähr so hat es sich in den Köpfen der Österreicher festgesetzt, das Klischeebild vom reichen Russen. Auch wenn sich vielleicht hin und wieder doch so ein Exemplar ins Land oder in die Bundeshauptstadt verirrt hat, so wirklich aufgefallen sind sie nicht – zumindest nicht in dieser überzogenen, protzigen Form. Nichts gewesen also mit den reichen Russen, die jeden schönen Fleck des Landes aufkaufen? Wenn man durch die Wiener Innenstadt spaziert, könnte man das zumindest auf den ersten Blick glauben.

Eleganz statt Protz. Wer aber genauer hinsieht, merkt, dass die Russen sich hier sehr wohl bemerkbar gemacht haben. Und sie haben nicht nur die Stadt, oder besser die Konsumzonen der Innenstadt verändert, sondern auch mit dem Klischee von den protzigen, reichen Russen aufgeräumt. Die City innerhalb des Rings hat eine gut betuchte Kundschaft angezogen, die Wert auf Eleganz, Stil und Diskretion legt, aber auch Lebenslust und einen Hauch von Ich-leiste-mir-das-und-stehe-dazu in die Stadt gebracht hat. Und deren Wurzeln immer öfter östlich des Landes liegen, etwa in China, Hongkong, Singapur, Korea, Vietnam, im arabischen Raum oder eben in der Ukraine und in Russland.
In Wien hat man sich längst auf die neue Kundschaft eingestellt, deutlich wird das meist erst auf den zweiten Blick. So begrüßt etwa ein italienisches Brautmodengeschäft in der Himmelpfortgasse seine Kundinnen schon bei der Eingangstür mit einem Schild auf Deutsch, Englisch und eben Russisch. Der Schokohändler Thomas Kovazh verkauft in seinem Pop-up-Store im Kaufhaus Steffl bunt bemalte Schokoladematrioschkas. „Sie gehen besser als in meinen Stammgeschäft im siebten Bezirk. Im Steffl gibt es einfach mehr russische Kundschaft“, sagt Kovazh. In den Damenboutiquen wird verstärkt auf russischsprachiges Personal gesetzt, und der neue Merkur am Hohen Markt heißt seine russischen Gäste mit einem eigenen Regal mit russischen Produkten – von Krimsekt und Wodka über Süßwaren bis hin zu Eingelegtem und Kaviar – willkommen.

Russen lieben Italiener. „Viele unserer Kundinnen kommen aus Russland, der Ukraine oder China. Auch die russischsprachigen Kundinnen mit Wiener Wohnsitz werden mehr“, erzählt eine Verkäuferin der Modeboutique Cachil in der Seilergasse. Und: „Sie sind sehr modebewusst und interessieren sich eher für das höherpreisige Segment, etwa Brunello Cucinelli oder Etro.“ Genau diese beiden Marken werden – nach den bereits geöffneten Stores von Emporio Armani und Louis Vuitton – ab Frühjahr 2013 ins goldene Quartier an der Ecke Tuchlauben/Bognergasse einziehen.
Dass die russischen Kunden sich besonders für italienische Mode interessieren, liegt schlicht daran, dass sie diese aus ihrer Heimat kennen. „Die italienische Couture war früher in Russland als in China, dort waren die französischen Modehäuser wiederum früher dran. Das spiegelt sich im Geschmack wider. Die Russen greifen eher zu italienischer Mode, die Chinesen zu französischer“, sagt dazu Friedrich Jonak, Obmann der IG Kaufleute am Graben und Inhaber mehrerer Luxusboutiquen.
Er selbst würde nicht sagen, dass die betuchte, russische Kundschaft die Schaufenster der Innenstadtboutiquen verändert hat. Immerhin bleibt selbst Franchisenehmern wie ihm wenig Spielraum bei der Gestaltung der Auslagen oder der Sortimentsauswahl. Was in ein Chanel- oder Prada-Schaufenster kommt, wird von deren Zentrale in Paris oder Mailand aus bestimmt. Allerdings haben genau diese Zentralen Wien offenbar als lukrativen Standort für Produkte der Luxusbranche entdeckt. Das wird allein an der jüngsten Neueröffnung im goldenen Quartier deutlich.
Dort hat nämlich Louis Vuitton auf derzeit zwei Stockwerken einen beeindruckenden Store eröffnet, obwohl er noch nicht ganz fertig ist. Die Damenabteilung im zweiten Stock, mit der der Shop auf 1200 Quadratmeter wächst – und somit nur ein bisschen kleiner als das Herzstück in Paris ist – wird zwar erst im März eröffnet. Das Weihnachts- und Neujahrsgeschäft – das europäische, russische und chinesische – wollte man sich aber nicht entgehen lassen. Zumindest in der ersten Woche herrschte Hochbetrieb.

Luxus statt Avantgarde. Auch wenn die Art der Marken – nämlich jene aus dem internationalen Luxusbereich anstelle der Modeavantgarde – einiges über den Geschmack der neuen Kundschaft aussagt, nimmt die Fixierung auf große Logos ab. Obwohl die Wichtigkeit des Herstellers steigt, braucht man heute nicht mehr unbedingt ein deutlich sichtbares Zeichen dafür, was man trägt. „Understatement ist auch in der Luxusbranche angekommen“, sagt Jonak. Auch Zoe Daie von der Boutique Amicis bestätigt das: „Wir haben in den vergangenen Jahren einen Anstieg an russischer Klientel feststellen können. Der russische Kunde ist informierter, cooler und mehr en vogue denn je zuvor. Plakative Statussymbole verlieren aber immer mehr an Bedeutung. Der Heißhunger nach logogebrandeter Mode ist eindeutig gestillt.“ Sie nennt das „understated Chic“ und bringt russische It-Girls als Beispiel, die immer öfter Labels wie Stella McCartney, Balenciaga oder Isabel Marant tragen. Bis aber die russischen Touristen das nachahmen, wird es noch ein bisschen dauern. Derzeit stehen nämlich noch immer internationale Marken wie Louis Vuitton, Hermés, Dolce & Gabbana oder Max Mara hoch im Kurs.
Das belegen die Daten von Global Blue, dem Marktführer für Mehrwertsteuerrückvergütung in Österreich. Dort werden sämtliche Einkäufe von Gästen aus dem Nicht-EU-Ausland registriert, die dafür die Mehrwertsteuer rückerstatten lassen. Allerdings seien auch Marken wie Augarten beliebt, „weil eine Geschichte dahintersteckt“, sagt Danielle Willert von Global Blue. Das Unternehmen hat in den letzten zwei Jahren einen Wandel beim Kaufverhalten beobachtet: Die durchschnittlichen Ausgaben bei einem Einkauf sinken, dafür steigt die Zahl der Einkäufe. Mehr Russen geben also in jedem einzelnen Geschäft weniger aus. Warum? „Es reisen mehr Russen aus der Mittelschicht“, so Willert.
Insgesamt steigen aber die Umsätze durch russische Kunden. Im vergangenen Sommer, also im Juni, Juli, August und September 2012, haben sie rund 77 Mio. Euro in Österreich ausgegeben, ein Plus von 26 Prozent gegenüber dem Jahr zuvor, wie aus den Daten von Global Blue hervorgeht. Pro Kopf haben russische Touristen 420 Euro auf österreichische Ladentische gelegt, das waren allerdings drei Euro weniger als 2011.

Chinesen holen Russen ein. In den nächsten Jahren könnte sich der Geschmack der Touristen, und damit das Angebot, aber ändern. Denn derzeit liefern sich Russen und Chinesen ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Titel der Touristen mit den höchsten Shoppingausgaben. Bis Jahresende erwartet Global Blue, dass die Chinesen die Russen überholen. Das dürfte die Luxusbranche insgesamt freuen, aber auch speziell die Schmuckhändler: Während Russen bevorzugt Kleider kaufen, interessieren sich Chinesen mehr für Uhren und Schmuck. Und auch diese Branche dürfte gewappnet sein: Immerhin gab es in letzter Zeit auf dem Schmucksektor einige Neueröffnungen.

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