Mit Kopftuch in der Arbeit: Eine Sensation wird Alltag

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Muslimische Frauen in Berufen mit regem Kundenkontakt – vor wenigen Jahren war das in Österreich noch alles andere als selbstverständlich. Inzwischen hat sich allerdings einiges getan.

Wien. Die erste muslimische Straßenbahnfahrerin mit Kopftuch in Wien. Was für eine Nachricht! Landesweit sorgte die Frau, die ihre Identität bis heute vor der Öffentlichkeit geheim hält, für Schlagzeilen. Die FPÖ wollte die Causa sogar in der Fragestunde des Gemeinderats behandelt wissen. „Sind Sie bereit, sich für ein Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst einzusetzen?“, hieß es in einer Anfrage an Bürgermeister Michael Häupl (SP) – der dazu nicht bereit war.

Gerade einmal vier Jahre ist das her. Inzwischen hat sich einiges getan. Frauen mit Kopftuch, die in Modegeschäften arbeiten, in Apotheken, Kinos und Restaurants gehören immer mehr zum österreichischen Alltag. Der Textildiscounter Primark beispielsweise, der vor einigen Wochen in Innsbruck und zuletzt im Einkaufszentrum Gerasdorf jeweils eine Filiale eröffnet hat, setzt in beiden Shops gleich auf mehrere muslimische Mitarbeiterinnen. Seit Kurzem gibt es in Wien sogar die erste Fahrlehrerin mit Kopftuch.

Bewusstseinsänderung

„Das Inkrafttreten des Gleichbehandlungsgesetzes in Österreich 2004 hat bei vielen Unternehmen zu einer Bewusstseinsänderung geführt und dazu beigetragen, dass sie vermehrt auch Frauen mit Kopftuch anstellen“, sagt Brigitte Schinkele vom Institut für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht in Wien. „Dies wiederum hat bewirkt, dass muslimische Frauen selbstbewusster werden und sich ermutigt fühlen, sich auszubilden und verstärkt am Arbeitsmarkt teilzunehmen.“

Eine Einschätzung, die auch Zeynep Elibol, Direktorin der Islamischen Fachschule für soziale Bildung in Wien, teilt. „Frauen, die ein Kopftuch tragen, wollen nicht mehr zu Hause bleiben, sondern erlernen Berufe und streben finanzielle Unabhängigkeit an“, so Elibol im Gespräch mit der „Presse“.

Frauen wie Kübra Simsek, deren Eltern aus der Türkei eingewandert sind. Sie ist in Wien geboren, aufgewachsen und arbeitet seit sieben Jahren als Pharmazeutisch Kaufmännische Assistentin (PKA) in der Apotheke am Schuhmeierplatz in Ottakring. Dort sind zwei weitere junge Frauen mit Kopftuch tätig. „Weder mit den Kollegen noch mit unseren Kunden hatten wir je die geringsten Probleme“, sagt Simsek. „Hier spielt es keine Rolle, ob wir ein Kopftuch tragen oder nicht, hier zählt einzig und allein die fachliche Kompetenz.“

Ob sie sich vorstellen könne, ihr Kopftuch für ihren Beruf abzulegen? „Niemals, weil es Teil meiner Religion und meiner Persönlichkeit ist“, so die 25-Jährige. „Außerdem habe ich eine abgeschlossene Ausbildung und weiß um meine Fähigkeiten. Während meiner Lehrzeit hätte ich mir über diese Frage eher Gedanken gemacht. Aber mittlerweile kommt es für mich nicht infrage, mein Kopftuch abzulegen.“

Bei ihrem Vorgesetzten wird sie das auch nicht müssen. „Der Glaube muss respektiert werden“, konstatiert Apothekenchef Nikolaus Göckel und betont: „Ich bin mit meinen muslimischen Mitarbeiterinnen in höchstem Maß glücklich. Das Klima unter der Belegschaft ist ausgezeichnet, auch vonseiten der Kunden gab und gibt es keine Beschwerden.“ Wenngleich er einräumt: „Natürlich kann ich nicht wissen, ob es Leute gibt, die unsere Apotheke meiden, weil hier Frauen mit Kopftuch arbeiten.“ Aber: „Auch wenn es so wäre, es ist mir egal.“

Ausbleibende Kundschaft befürchtet auch Matthias Halmer nicht. Er ist der Betriebsleiter des Megaplex-Kinos im Wiener Gasometer, in dem seit wenigen Monaten die 18-jährige türkischstämmige Wienerin Kiymet Dagli am Buffet arbeitet. Auch sie trägt aus religiösen Gründen ein Kopftuch. „Es kann schon sein, dass sich manche Besucher an einer anderen Schlange anstellen, um ihr Popcorn nicht von einer Frau mit Kopftuch zu bekommen. Aber das kümmert mich nicht“, sagt Halmer. „Wichtig ist für mich die Arbeit, die gut erledigt wird. Und solange das der Fall ist, stehe ich zu meiner Entscheidung und bin sogar stolz darauf.“

Und zwar deshalb, weil er  gern „anecke“ und aus Überzeugung Leute anstelle, die woanders möglicherweise nicht angestellt würden. „Sei es, weil sie tätowiert sind oder eben ein Kopftuch tragen.“ Zudem lege Halmer großen Wert darauf, dass sich die Kinobesucher auch in der Belegschaft widerspiegeln. „Und wir haben nun einmal sehr viele türkische Kunden, die sich darüber freuen, dass eine Türkin bei uns arbeitet.“

Schock über Jobzusage

Negatives Feedback bekomme er keines. „Außer einigen E-Mails, in denen Kunden ihren Unmut darüber äußern, dass eine Frau mit Kopftuch am Buffet steht, aber es gibt mindestens genauso viele positive E-Mails.“

Kiymet Dagli jedenfalls kann ihr Glück immer noch nicht ganz fassen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich mit Kopftuch in einem Kino arbeiten darf. Die Zusage meines Chefs hat mich geradezu schockiert“, verrät Dagli. Sie sei sehr glücklich, ihre Religion im Einklang mit ihrer Arbeit ausleben zu können und hoffe, dass ihr Beispiel andere muslimische Mädchen motiviert, ihr Kopftuch nicht als Manko zu sehen. „Und“, so Dagli, „dass das Kopftuch am Arbeitsplatz in Österreich bald zur Normalität wird und mich kein Journalist mehr anruft, um darüber zu berichten.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2012)

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