Heroinersatz: Das Millionengeschäft Drogensucht

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Seit 2003 stiegen die Ausgaben der Krankenkassen für Heroinersatz um 258 Prozent auf 26 Millionen Euro jährlich. 88 Prozent davon fließen in eine international nicht zugelassene Arznei.

Zwischen 30.000 und 34.000 Personen in Österreich haben einen laut Berechnung des Gesundheitsministeriums „problematischen Drogenkonsum“. In anderen Worten bedeutet das: Sie spritzen, schnupfen oder inhalieren Heroin in unterschiedlicher Qualität und Menge. Etwa die Hälfte davon, genau 16.782 Suchtkranke, macht eine sogenannte Substitutionstherapie, eine Behandlung, bei der anstatt der illegalen Droge auf Rezept erhältliche Medikamente unter ärztlicher Aufsicht – und im Idealfall mit begleitender psychosozialer Betreuung – verschrieben werden.

Der Sinn dieser Therapie ist weltweit bei Suchtexperten anerkannt. Patienten und Gesellschaft profitieren gleichermaßen. Die einen stabilisieren sich gesundheitlich und bekommen die Chance, dem Schwarzmarkt zu entkommen. Die anderen spüren einen Rückgang der Begleitkriminalität. Die Gesundheitsbehörden sind deshalb bestrebt, möglichst viele Süchtige in diese Form der Behandlung zu bekommen.

Dennoch ist das in Österreich praktizierte System international – nun ja – einzigartig: Die Versorgung von Süchtigen mit Medikamenten wurde binnen weniger Jahre zum Millionengeschäft einiger weniger Pharmaunternehmen und damit zur Spielwiese unterschiedlichster Interessen und Meinungsbildner.

Nicht, dass das anderswo anders wäre. Interessant ist es aber deshalb, weil Österreichs Ärzte dabei eine erstaunliche Rolle spielen. Sie verschreiben mehr als der Hälfte ihrer Patienten Medikamente, die in der Substitutionstherapie weltweit (außer in Österreich) wenigstens umstritten, in den meisten Fällen jedoch überhaupt nicht im Einsatz – weil schlichtweg nicht zugelassen – sind, und laut gültiger Suchtgiftverordnung auch hierzulande eigentlich nur in Ausnahmefällen verschrieben werden dürften.

Tatsächlich beherrschen zwischen Bregenz und Wien – und nur hier – die sogenannten retardierten Morphine den Markt. 55 Prozent aller Patienten sind inzwischen darauf eingestellt. Die zeitverzögert wirkenden Präparate in Kapselform enthalten, wie der Name schon sagt, Morphium, sind deshalb bei Süchtigen sehr beliebt und sorgten in den vergangenen Jahren wegen ihres hohen Missbrauchspotenzials und damit verbundener Todesfälle für großes Aufsehen in der Öffentlichkeit. Die Aufwendungen der Krankenkassen für verschriebene Ersatzdrogen insgesamt stiegen seit 2003 (8,9 Mio. Euro) um 258 Prozent auf zuletzt 26 Mio. Euro (2011). 22,9 Millionen davon, das sind 88,2 Prozent, gingen an die Hersteller von retardierten Morphinen (siehe Grafik).

Die beeindruckende Marktdominanz ist insofern bemerkenswert, weil der Gesetzgeber retardierte Morphine eigentlich nur in genau beschriebenen Ausnahmefällen zulässt, laut aktuell gültiger Suchtgiftverordnung (§23c) also dann, wenn der behandelte Patient die anderen beiden, für den Drogenersatz infrage kommenden Wirkstoffe Methadon und Buprenorphin nicht verträgt.

Druck auf Kritiker. Gemäß den Zahlen des Gesundheitsministeriums müssten demnach – siehe oben – 55 Prozent aller Patienten entsprechende Unverträglichkeiten aufweisen. In der im Rahmen der Recherche gesichteten Wissenschaftsliteratur werden allerdings weltweit nur Werte zwischen fünf und maximal zwölf Prozent genannt.

„Ein auffälliger genetischer Defekt, der nur österreichische Patienten zu betreffen scheint“, ätzt der Gerichtsgutachter, Psychiater und Suchtklinikleiter Reinhard Haller. Er ist – wie seine nicht minder prominente Kollegin Heidi Kastner – einer von wenigen Ärzten, die sich trauen, den Einsatz retardierter Morphine in der Behandlung von Heroinkonsumenten öffentlich zu hinterfragen. Der Druck aus der eigenen Standesvertretung, der Pharmaindustrie und nicht zuletzt der Drogen-Sozialarbeit sei nämlich groß.

Auch Ideologie, so Haller, spiele dabei eine Rolle. Kritiker würden selbst bei sachlicher Argumentation intern und öffentlich schnell als patientenfeindliche Reaktionäre abgestempelt. Dabei sei eine zentrale Facette der gelebten Verschreibepraxis bei Nennung einer einzigen Tatsache schnell erklärbar: „Retardiertes Morphin in der Substitutionstherapie hat eine höhere Haltequote als Insulin bei Diabetikern.“ Was das bedeute, könne sich jeder selbst ausrechnen.


Außenseiter in Europa. Profiteure der offensichtlich der Verordnung zuwiderlaufenden Verschreibepraxis retardierter Morphine sind die Firmen Mundipharma (Produkt: Substitol) und G.L. Pharma (Compensan), die zum Konglomerat des ÖVP-Abgeordneten Martin Bartenstein gehört.

Mundipharma schöpft mit 17,9 Mio. Euro jährlich allein annähernd 70 Prozent der von den Kassen ausbezahlten Mittel zur Drogensubstitution ab und erzielt damit mehr als die Hälfte seiner jährlichen Umsatzerlöse (2011 waren das 33,6 Mio. Euro) mit einem einzigen Produkt. Für G.L. Pharma bleiben immerhin noch fünf Mio. Euro jährlich. Die laut Gesetzgeber bevorzugt zu verwendenden Substanzen (in der Verordnung ist von „Mitteln erster Wahl“ die Rede), mit denen weltweit – unter anderem in allen großen europäischen Ländern – substituiert wird, spielen in Österreich kaum mehr eine Rolle. Nur Slowenien und Bulgarien teilen – allerdings auch eher in homöopathischen Dosen – die Leidenschaft für Morphin in der Heroin-Ersatztherapie (siehe Grafik).

Auf die Präparate mit dem Wirkstoff Buprenorphin (die Produkte heißen Subutex und Suboxene, Hersteller ist der internationale Pharmariese Firma Reckitt Benckiser) fallen 851.428,40 Euro, auf das synthetisch hergestellte und direkt vom Apotheker zubereitete Methadon 2.218.416,86 Euro. Warum machen Österreichs Drogenärzte als einzige die Ausnahme zur Regel? Johanna Schopper, Bundesdrogenkoordinatorin im Gesundheitsministerium, glaubt, dass viele Ärzte das deshalb tun, um die Patienten vom Abbruch der Therapie abzuhalten. Fakt ist nämlich, dass Morphin bei Heroinsüchtigen wegen der ähnlichen Wirkung sehr beliebt ist – und es zudem am Schwarzmarkt leicht zu Geld gemacht werden kann (siehe nebenstehenden Artikel). Warum die Unverträglichkeit weltweit eingesetzter Substanzen ausgerechnet hierzulande exorbitant hoch ist, will Schopper nicht bewerten. „Das ist eine Entscheidung der Ärzte.“ Heidi Kastner, Gerichtsgutachterin, Psychiaterin und Leiterin mehrerer forensischer Einrichtungen in Oberösterreich, erklärt das so: „Viele Kollegen geben den Patienten das, was sie wollen, und sparen sich damit Ärger mit einer von Natur aus schwierigen Klientel, die sonst eventuell den Behandler wechselt und als ,Kundschaft‘ wegfallen könnte.“

Gerade in Ostösterreich berichten Patienten immer wieder von Praxen, die mehrere Hundert Substituierte gleichzeitig betreuen, in Wahrheit aber nichts anderes als Rezeptbeschaffungsstellen sind. Bei fünf Mal 25 Euro pro Quartal, die die Kasse für einen Patienten zahlt, kann dabei einiges zusammenkommen.

Befürworter der in der Kritik stehenden Medikamente begründen ihr Vorgehen mit anderen Argumenten. „Weil Morphin retard bei korrekter Einnahme den Körper nicht schädigt“, sagt Max Wudy, Leiter des Referats für Abhängigkeitsfragen der Ärztekammer Niederösterreich und selbst substituierender Arzt. „Weil außerhalb Österreichs, wo Morphin in der Substitution nicht erlaubt ist, Methadon und Buprenorphin genauso am Schwarzmarkt landen“, sagt Gerhard Rechberger, ärztlicher Leiter eines Suchthilfezentrums des Wiener Vereins „Dialog“.

Industrie sponsort. Beide sprachen Anfang Dezember im Rahmen eines Hintergrundgesprächs der „Plattform Drogensubstitution“ vor Journalisten. Vorgestellt hat sich die Organisation als „Informations- und Aufklärungsplattform“. Nicht erwähnt wurde bei der Veranstaltung, die in einem bekannten Wiener Restaurant – inklusive mehrgängigem Menü – stattfand, dass die Einrichtung von Mundipharma finanziert wird. Überhaupt setzen sich alle Hersteller als Sponsoren in Szene. Unter anderem fördern sie das jährlich in Mondsee stattfindende Substitutionsforum oder das Interdisziplinäre Symposium zur Suchterkrankung in Grundlsee.


Experten vereinnahmt. Manchmal werden Experten sogar regelrecht vereinnahmt. Erst kürzlich war ein prominenter, der „Presse am Sonntag“ bekannter Arzt nach Wien zu einem Vortrag gereist. Erst nach getaner Arbeit offenbarte der Veranstalter vor versammeltem Auditorium, dass man sich herzlich bei Firma XY bedanke, die Honorar und Reisespesen für den Mann übernehme. Ist diese rege Sponsortätigkeit normal?

Ja, sagt Mundipharma. Wie andere pharmazeutische Unternehmen auch unterstütze man wissenschaftliche Gesellschaften und Plattformen mit nicht zweckgebundenen Beiträgen. Welche Medikamente in der Behandlung zum Einsatz kommen und welche nicht, das sei ausschließlich Sache der Ärzte. Nicht die von Mundipharma. Eine schiefe Optik – insbesondere im Vergleich der Verschreibepraxis zum Ausland – sieht das Unternehmen nicht.

Ulrich Ganzinger, Leiter der medizinischen Abteilung des Konzerns, sagt: „Die Zusammenarbeit mit Ärzten und Fachgesellschaften erfolgt ausnahmslos im Einklang mit den Gesetzen und internen und branchenverfügbaren Verhaltenskodizes.“

(c) Die Presse / GK

Substitution

Die Opiat-Ersatztherapie, auch Substitution genannt, ist eine anerkannte Methode zur Stabilisierung von Heroinsüchtigen. Die körperlich und psychisch schwer kranken Patienten können sich unter ärztlicher Aufsicht und mit Medikamenten auf medizinisch vertretbarem Niveau einpendeln. Gleichzeitig sind sie nicht mehr auf den Schwarzmarkt und die damit verbundene Beschaffungskriminalität angewiesen. Von der Therapie profitiert nicht nur der Patient, sondern die gesamte Gesellschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.01.2013)

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