„Rassen gibt es für uns schon lange nicht mehr!“

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Das Naturhistorische Museum hat seine seit 16 Jahren geschlossene anthropologische Abteilung wieder eröffnet und inhaltlich wie vom Ausstellungsdesign auf den neuesten Stand gebracht.

Das Naturhistorische Museum ist in der Gegenwart angekommen, das bemerkt man, wenn man SaalXVII betritt. Der ist leer, nur Bilder hoch an der Wand – „Indianer auf Bisonjagd“, „Kaffern Kraal“ – erinnern daran, dass der Saal einst „Rassensaal“ hieß und es ernst meinte: Da zogen sich Schädel an der Wand entlang, am Anfang der eines Steinzeitmenschen, später kamen „Australiden“ („derbe Gesichtszüge“) und so weiter bis hin zur Krönung, einem „Nordiden“ („langer schmaler Kopf“). Der hatte auch Kultur, neben dem Schädel hing das Foto eines Schweden in Anzug und Krawatte, die Illustrationen der anderen waren weniger schmeichelhaft.

Dieses Bild der „heute lebenden Menschheit (Rassenkunde)“ präsentierte 1978 der damalige Museums-Chefanthropologe Johann Szivássy, Anfang der 90er-Jahre warnte er in einem Interview vor „Mischehen“ mit Migranten. Da hatte sich längst unter den Anthropologen der Universität Wien Unmut aufgestaut, vor allem bei Horst Seidler. Ihm – und internationalem Druck – war es zu danken, dass Mitte der 90er eine Neugestaltung des Saals angekündigt wurde. Stattdessen wurde er 1996 geschlossen.

50.000 Schädel im Fundus

Und nun ist er leer. „Die Schädel gibt es noch, irgendwo in unserem Fundus von 50.000 Stück“, berichtete Karin Wiltschke, Anthropologin im Museum, am Dienstag beim offiziellen Rundgang durch die endlich neu eröffnete – und gestaltete – anthropologische Ausstellung in den Sälen XV und XVI: „Die Fotos gibt es nicht mehr. Und Rassen gibt es für uns schon lange nicht mehr, an den Schädeln steht nur der Fundort. Einem Schädel selbst sieht man nicht an, wo auf der Erde er gefunden wurde.“

Aber nicht nur damit ist das Naturhistorische in der Gegenwart angekommen, auch das neue Arrangement ist so zeitgemäß, wie es in den historischen Räumlichkeiten geht. Zudem hat man aus der Not aller Museums-Anthropologen – es gibt wenige Originalobjekte – eine Tugend gemacht: Man zeigt betast- und -greifbare Repliken. Gorillaschädel etwa oder die ersten Fußspuren aufrecht gehender Ahnen, die von Australopithecus – „Lucy“ gehörte dazu –, vermutlich erfand er vor vier Millionen Jahren den aufrechten Gang. Oder war es doch schon Sahelanthropus vor sechs Millionen Jahren? Die Ausstellung lässt es offen bzw. sie öffnet den Blick dafür, dass die Anthropologie viele Fragen offen hat.

Derzeit vor allem eine: „Eine ebenbürtige Kultur?“ Das wird zu den Neandertalern gefragt, die Antwort fällt positiv aus, sie stützt sich auf neueste Funde. Auch technisch ist alles auf dem letzten Stand, viele lebensgroße Nachbildungen früher Menschen, überall interaktive Stationen, etwa ein virtuelles Skelett, an dem man Techniken der Anthropologie erproben kann.

Sich in Neandertaler verwandeln

Es gibt sogar etwas ganz Spukhaftes, eine Verwandlungsmaschine („Morphing“): Da setzt man sich hinein wie in einen Fotoautomaten, und dann kann man das Konterfei verwandeln lassen, in das verschiedenster Ahnen. Man muss nur aufpassen: Wenn man als Homo-sapiens-Mann versehentlich auf Neandertaler-Frau klickt, dann schaut einem doch ein etwas seltsames Wesen entgegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2013)

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