Brauner: "Private sind überhaupt nicht böse"

Renate Brauner und Michael Häupl
Renate Brauner und Michael HäuplAPA/GEORG HOCHMUTH
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Die Wiener Vizebürgermeisterin Renate Brauner kritisiert "neoliberale Tendenzen" in der EU-Kommission.

Die Presse: Verfassungsjurist Mayer hat die Volksbefragung als nahe am Missbrauch bezeichnet. Er ist nicht der Einzige.

Renate Brauner: Es gibt auch Experten, die genau das Gegenteil sagen. Ich erkenne nicht, wieso eine Frage zur drohenden Privatisierung, die in der EU ein heißes Thema ist, Missbrauch sein soll.

Juristen kritisieren suggestive, folgenlose Fragen. Die Wien Energie hat vorab angekündigt, die Beteiligung von Privaten fortsetzen zu wollen. Man konnte sich sogar schon anmelden.

Wenn die Leute dagegen stimmen – was ich nicht glaube –, wird die Wien Energie das zwar schade finden und sich bei mir beschweren, aber sie werden tun, was der Eigentümer sagt: die Stadt Wien. Dass die Wien Energie schon Pläne gemacht hat, ist aber verständlich.

Bei der Privatisierung hat die SPÖ gesagt, dass nichts privatisiert wird, auch wenn die Wiener dagegen stimmen.

Das Bekenntnis zur öffentlichen Daseinsvorsorge ist für die SPÖ eine Grundwert. Daran wird auch die Befragung nichts ändern. Es ist aber ein fundamentaler Unterschied, ob wir bei den Auseinandersetzungen, die heute in der EU geführt werden, einen massiven Volksentscheid hinter uns haben.

Keiner zwingt die Stadt, ihr Wasser zu privatisieren. Es soll nur transparente Ausschreibungsbedingungen geben.

Die vorgeschlagene Richtlinie benachteiligt öffentliche Unternehmen zutiefst, sie verunmöglicht auch die Zusammenarbeit von Gemeinden. Es gibt neoliberale Tendenzen in der EU-Kommission und die verfolgen eine klare Strategie.

Was ist überhaupt so schlimm, wenn ein Privater zum Zug kommt?

Bei der Daseinsvorsorge gibt es negative internationale Beispiele. Schauen wir uns die Liberalisierung des Nahverkehrs in England an. Wieso gibt es die ganzen Rekommunalisierungen in Frankreich und Deutschland?

Das stimmt so nicht. In Berlin war die Wasserversorgung teilprivatisiert. Die Entscheidungsmehrheit hatte die Stadt.

Wie man sieht, hat es trotzdem nicht funktioniert.

Ist es nicht skurril, vor steigenden Preisen im Falle einer Privatisierung zu warnen, während die Stadt die Wasserpreise 2012 um ein Drittel erhöht hat?

Zum ersten Mal seit 1995. Und jeder Cent geht in die Erhaltung des Systems.

Das ist falsch. Wien verdient mit überhöhten Gebühren ein Körberlgeld, wie der Rechnungshofbericht beim Müll zeigt.

Es gibt dazu eine Stellungnahme der Stadt, die nachweist, dass das nicht stimmt.

Der Rechnungshof ist inkompetent?

Das würde ich nie sagen. Aber es gibt unterschiedliche Meinungen. Viele Dinge wurden vom Rechnungshof anders interpretiert.

Drei Viertel der Kommunen in Österreich entsorgen ihren Müll durch Private. Sind das alles Neoliberale?

Wenn eine Kommune das selbst entscheidet – und das kann sie ja –, muss sie auch die politische Verantwortung tragen. Aber wir wehren uns dagegen, dass es uns vorgeschrieben wird. Beim Eisenbahn-Paket sagt die EU, darf es keine Direktvergaben mehr geben, z. B. bei der S-Bahn oder Badner Bahn.

Wäre das so schlimm? Man kann in Verträge schreiben, welche Leistungen erbracht werden müssen. Das ist bei den Wiener Linien genauso.

Wofür wird sich ein Privater bewerben? Die Strecke Wien–Linz, auf der viele Leute fahren, oder eine Strecke, auf der ein paar Pendler fahren? Die Frage, die Politiker verantworten müssen, ist: Ist das im Interesse der Allgemeinheit? Es kann nicht sein, dass Private die profitablen Bereiche machen und die Kommunen die unprofitablen.

Es gibt in vielen Teilen der Stadt Bereiche, die an Private – z. B. im Verkehr – übergeben wurden. Anscheinend sind die Privaten doch nicht so böse.

Private sind überhaupt nicht böse. Ich wehre mich nicht gegen Zusammenarbeit mit Privaten, wir haben gute Kooperationen, die ich auch forciere. Vom Media Quarter Marx zum Twin City Liner haber wir hier viele positive Beispiele.

Wieso führt die SPÖ dann eine Kampagne gegen Private?

Das ist eine falsche Interpretation. Wir unterstützen mit unseren Förderungen viele Unternehmen.

Soll die Zusammenarbeit mit Privaten ausgebaut werden?

Ja, dort, wo sie Sinn macht.

Gibt es Infrastrukturmaßnahmen, bei denen man die Privatbeteiligung der Bürger wie bei der Solarenergie ausbauen kann? Maria Vassilakou sagt Ja.

Ich sehe nicht sehr viele. Menschen, gebt uns Geld, damit wir Straßen bauen können – sicher nicht! Ich glaube, dass die Frau Vizebürgermeisterin eher an Ökoprojekte gedacht hat.

Wo wir übers Geld reden: Die Nulllohnrunde für Gemeindebedienstete, die sie als Sparmaßnahme angekündigt haben, ist nun vom Tisch. Es gab Erhöhungen.

Die Nulllohnrunde ist nicht auf unserem Mist gewachsen, das war eine Vereinbarung mit dem Bund. Wir haben nie ein Hehl daraus gemacht, dass wir nie eine Nulllohnrunde hatten. Aber das ist nicht mein Ressort.

Aber Ihr Ressort muss zahlen.

Ich muss alle Bereiche finanzieren.

Bleiben wir daher bei den Finanzen: Die viel diskutierten Franken-Kredite der Stadt sind 300 Mio. Euro unter Wasser. Wien will aussteigen, wie sieht das Ausstiegsszenario aus?

Man kann diskutieren, ob es 1984 klug war, diese Verträge abzuschließen, aber das ist müßig. Was man machen muss, ist, die Verluste den Gewinnen von über 716 Mio. in dieser Zeit gegenüberzustellen. Es war immer als langfristige Strategie geplant. Klar ist, dass sich die Einstellung der Bevölkerung und damit auch die politische Meinung geändert hat. Deswegen haben wir auch in der 15a-Vereinbarung mit dem Bund eine Regelung zum Abbau der Franken-Kredite getroffen. Das konkrete Szenario hängt aber nicht von der Politik, sondern von den Kursrelationen ab. Insofern kann man über den Zeitpunkt, der für den Abbau vereinbart ist – 2016 – hinausgehen, wenn das wirtschaftlich besser ist.

Bei welchem Kurs würde Wien ohne Verlust aussteigen? Wann ist der erreicht?

Diese Frage ist viel zu schwierig, um sie mit einer einfachen Zahl zu beantworten. Dazu bedarf es eines komplexen Plans. Ziel ist ohne Verluste auszusteigen.

Der Bund will die Budgetdarstellung der Länder an das System der doppelten Buchhaltung des Bundes anpassen. Was will Wien?

Erstens: Es gibt von uns schon Lange Vorschläge zu einer Weiterentwicklung des bestehenden Systems. Die Ministerin Fekter hat es jedoch nicht für nötig befunden, das umzusetzen. Zweitens: Man muss sehen, dass es einen Unterschied zwischen Bund und Gemeinden gibt. Ich wehre mich dagegen, dass die Bewertungsrichtlinie des Bundes auf uns übergewälzt wird. Ich bin für ein modernes Gemeindehaushaltsrecht, aber was habe ich davon, wenn ich meine Brücken und Kinderspielplätze bewerten muss?

Das heißt, Sie wollen bei der Kameralistik, also Einnahmen-Ausgaben-Rechnung, bleiben?

Ich bin für eine klare Darstellung von Vermögen und Schulden, aber ich bin gegen sinnlose Bewertungen von Anlagevermögen. Das kostet nur Geld. Wie bewerte ich bitte das Rathaus? Wie einen Kinderspielplatz im ersten Bezirk? Außer – Sie werden sagen, ich habe einen Verfolgungswahn – man will den Grund verkaufen. Man könnte ja argumentieren: Braucht man einen Kinderspielplatz ausgerechnet im ersten Bezirk?

Womit wir wieder bei Ihrem Lieblingsthema gelandet sind: Privatisierung.

Da haben Sie recht, der Kampf dagegen ist mir das Wichtigste.

Zur Person

Renate Brauner (55) ist – neben Maria Vassilakou – Wiener Vizebürgermeisterin und seit 2007 Finanz- und Wirtschaftsstadträtin. Die Ökonomin war für die SPÖ in vielen Funktionen tätig. Sie gilt als mögliche Bürgermeisterkandidatin, doch ihre Chancen sind in der jüngsten Vergangenheit gesunken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2013)

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