Der EU-Parlamentarier Ewald Stadler (BZÖ) listet in einem Brief an Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) Ungereimtheiten auf.
Wien. In einem 15-seitigen, der „Presse" vorliegenden Brief richtet der EU-Abgeordnete Ewald Stadler (BZÖ) einen „Appell an die Mitglieder der aktuellen FBI- und BRD-BKA-unterstützten Evaluierungskommission" im Entführungsfall Natascha Kampusch. Das mit 20. März datierte Schreiben ist an Innenministerin Johann Mikl-Leitner (ÖVP) adressiert. Wie berichtet analysiert derzeit ein von Innen- und Justizressort eingesetztes „Operativteam" die einstige Tätigkeit der Kampusch-Ermittler - und zwar in Kooperation mit der US-amerikanischen Bundesermittlungsbehörde FBI und dem deutschen Bundeskriminalamt (BKA). Dieses Team will nach eigenen Angaben noch „im Frühling" einen Bericht fertig haben. Termin will man keinen nennen.
Stadler kritisiert nun „fachlich nicht nachvollziehbare Auffälligkeiten" bei der „staatsanwaltlichen Lenkung des Ermittlungsverfahrens im Fall Kampusch". Diese seien „nur mit einer - wie auch immer motivierten - gezielten Verhinderungsstrategie" zu erklären. So sei jene Frau (eine seinerzeitige Passantin), die angibt, zwei Männer im Entführungsfahrzeug gesehen zu haben, nie von einem Staatsanwalt (sondern immer nur von der Polizei, Anm.) vernommen worden. Wörtlich wird in dem Brief angeprangert, "dass der ermittelnde staatsanwaltliche Sachbearbeiter bis zur endgültigen Ermittlungseinstellung im Jänner 2010 von zwei unmittelbaren Entführungszeuginnen (gemeint: das Opfer selber und die genannte Passantin, Anm.) lediglich eine vernommen hat, dabei wesentliche Vorhalte von zahlreichen Ungereimtheiten unterlassen hat, den Wahrnehmungen der anderen Tatzeugin jedoch abschließend ermittlungserhebliche Relevanz abgesprochen hat, ohne sie überhaupt unmittelbar gehört zu haben."
Auch der Selbstmord des Entführers Wolfgang Priklopil weise „Klärungsbedarf" auf. Zur Erinnerung: Priklopil hatte sich nach der Flucht von Natascha Kampusch vor einen Zug geworfen. So heißt es etwa: "Die Wahrnehmungen des Triebwagenführers werden von staatsanwaltlicher Seite wahrheitswidrig wiedergegeben. Dessen Angaben beschränken sich nämlich darauf, dass er in Annäherung an die Kontaktstelle einen ,hellen Schatten`gesehen hatte, ohne sagen zu können, ob es sich dabei um eine stehende oder um eine hockende Person gehandelt hat."
Und weiter: "Der helle Schatten sei dann im Gleisbereich vor dem Zug gelegen und er hätte den Zug nicht rechtzeitig anhalten können." Erst nach dem Unfall habe ein Zugbegleiter, der ausgestiegen sei, die Leiche gefunden. "Der Zugbegleiter wurde im Ermittlungsverfahren nie vernommen, insbesondere auch nicht darüber, ob ihm heftiger Blutaustritt aus dem Leichenhals aufgefallen ist". Hintergrund dieser Passage: Kritische Beobachter hatten zuletzt immer wieder in den Raum gestellt, dass Priklopil möglicherweise schon tot gewesen sein könnte, als ihn der Zug überrollte - also von dritter Seite auf die Schienen gelegt worden sei. Für diese Version gibt es aber bis heute keine Beweise.
Ob nun die Evaluierungskommission überhaupt auf den Selbstmord von Priklopil eingeht, bleibt abzuwarten. Die eigentliche Aufgabe des international besetzten Teams besteht darin, die Arbeitsweise der österreichischen Ermittler zu studieren und gegebenenfalls (methodische) Verbesserungen für die Zukunft vorzuschlagen.