„Österreich ist mittendrin im Menschenhandel“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Auch wenn exakte Zahlen im Dunkeln liegen: Österreich ist sowohl Transit- als auch Zielland für Menschenhändler, heißt es aus dem Bundeskriminalamt.

Wien. „Österreich ist mittendrin im Menschenhandel.“ Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle im Bundeskriminalamt zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität und des Menschenhandels, will damit sagen, dass Österreich sowohl Transit- als auch Zielland ist. Wie viele Betroffene tatsächlich nach oder durch Österreich gehandelt werden – und wie viele Betroffene es überhaupt gibt, lässt sich kaum erfassen. Nur so viel: Die meisten Betroffenen sind Frauen, die meisten werden in Österreich zur Sexarbeit gezwungen, die Opfer werden immer jünger.

Zudem stammen die meisten Frauen aus den Ländern Rumänien (rund ein Drittel), Bulgarien, Ungarn, der Slowakei und Nigeria – was wiederum heißt, dass die meisten Opfer EU-Bürger sind (wie viele von den in Österreich rund 6000 registrierten Sexarbeitern Opfer von Menschenhandel sind, lässt sich nicht sagen).

In Europa sieht die Lage ähnlich aus: Laut einem Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Suchtstoff- und Verbrechensbekämpfung 2012 (UNODC) werden 62Prozent der Menschenhandelsopfer in Europa mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung gehandelt – 64Prozent stammen aus Europa selbst. Nach Österreich gehandelte Menschen werden aber auch zur Bettelei gezwungen – oder als Hauspersonal ausgebeutet. Der Organhandel spielt hier keine Rolle. Jährlich werden bis zu 400 Fälle von Menschenhandel bekannt. Österreich erscheint für Menschenhändler insofern lukrativ, als das Land erstens „das erste reiche Land“ (Tatzgern) an der Grenze zu östlichen (EU-)Ländern ist und somit mehr Geld für die Drahtzieher verspricht, und zweitens spielen Nachbarstaaten wie Italien eine Rolle, wo Prostitution verboten ist.

Die Betroffenen selbst werden oft unter Vorspiegelung falscher Tatsachen nach Österreich gelockt: Ihnen werden Jobs als Kellnerinnen, Masseurinnen oder Babysitter in Aussicht gestellt. Später werden sie mit unverhältnismäßig hohen „Reiseschulden“ konfrontiert und zur Bezahlung derselben zur Sexarbeit gezwungen. Nicht selten nehmen ihnen die Händler ihre Dokumente ab, was fatale Auswirkungen hat: „In der Praxis werden die Frauen und Mädchen kriminalisiert“, schreiben die Autorinnen Maria Cristina Boidi und Evelyn Probst im Bericht „Frauenrechte Jetzt“ (UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, Mai 2012).

In anderen Worten: Die Opfer werden bestraft, weil sie keine Dokumente oder Aufenthaltstitel haben. Oder sie landen in jenen Bundesländern, wo Prostitution verboten ist, wegen Prostitution vor Gericht. In Österreich ist Sexarbeit nicht einheitlich geregelt – und das macht die Ausbeutung einfacher, sagen Kritiker. Boidi und Probst fordern jedenfalls einen umfassenden Schutz für Betroffene des Menschenhandels und die automatische Gewährung des Aufenthaltsrechts.

oesterreich mittendrin Menschenhandel
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Anbahnung im Internet

In letzter Zeit können Experten auch den Anstieg von „Cyber Trafficking“ beobachten. Hier werden die Opfer im Internet – Partnerbörsen oder soziale Netzwerke – angesprochen und mit falschen Versprechen nach Österreich gebracht. Das Internet dient aber auch zur Kontaktaufnahme mit den Kunden: Menschenhändler stellen die Fotos ihrer Opfer in einschlägige Foren und „bewerben“ sie.

Bereits seit 2007 gibt das Innenministerium den „Nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Menschenhandel“ heraus. Auch wenn einzelne Maßnahmen – Fortbildungen, Symposien usw. – für positive Reaktionen gesorgt haben, bemängeln Kritiker, dass mit dem Aktionsplan kein zusätzliches Budget zur Bekämpfung von Menschenhandel zur Verfügung steht. Das Innenministerium selbst will bis zum Ende des heurigen Jahres eine Lücke schließen: Dann soll ein neuer Bericht mit allen verfügbaren Daten, Fakten und Statistiken zum Thema Menschenhandel in Österreich veröffentlicht werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.03.2013)

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