Ein Bürgermeister klagt an: "Man hat uns absaufen lassen"

Buergermeister klagt absaufen lassen
Buergermeister klagt absaufen lassenGeorg Renner
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Niederösterreich: Ein Lokalaugenschein in zwei Gemeinden, für die der Hochwasserschutz nicht rechtzeitig fertiggestellt wurde.

Marbach/Melk. "Man hat uns - im wahrsten Sinn des Wortes - absaufen lassen", sagt Anton Gruber. Der Bürgermeister der 1600-Einwohner-Gemeinde Marbach unterhalb von Maria Taferl am linken Donauufer macht kein Hehl aus seiner Frustration, als er am Montagnachmittag aus einer von viel zu vielen Einsatzbesprechungen kommt.

Rund 150 Häuser stehen unter Wasser, an der Kirchenpforte ankert ein Ruderboot der Feuerwehr, vor dem mit Sandsäcken verbarrikadierten Gasthof „Zur schönen Wienerin" versucht eine Handvoll junger Männer in Gummistiefeln und Regenhäuten einen zwischen Treibgut im Wasser zappelnden Maulwurf zu retten. Wo normalerweise Ausflugsgäste über die Marbacher Hauptstraße brausen, zieht jetzt eine braune, gestaltlose Suppe dahin: Die Donau hat Marbach wieder meterhoch überschwemmt - wie schon 2002.

So weit hätte es nicht kommen müssen, sagt der SPÖ-Bürgermeister: „Wir haben schon zigmal versucht, unseren Hochwasserschutz zu bekommen." Zuerst habe es geheißen, 2008 werde mit dem Bau begonnen, „dann hat man uns vertröstet auf 2010, 2012, 2014, weil Land und Bund kein Geld hätten", sagt Gruber - „und mittlerweile stehen wir bei Baubeginn 2016".

Marbach soll einen mobilen Hochwasserschutz bekommen wie viele andere Donaugemeinden, die auch vom Tourismus leben: Der beeinträchtigt das Landschaftsbild kaum, lässt sich aber im Fall eines Hochwassers schnell und effektiv aufbauen, wie sich seit Sonntag in vielen anderen Gemeinden gezeigt hat. Einziger Haken: Die Metallwände und ihre Installation sind nicht billig: 15 bis 16 Millionen Euro würde der Hochwasserschutz allein in Marbach kosten.

Stoisches Melk

„Das hätte sich schon rentiert", sagt der Bürgermeister - 2002 habe das Hochwasser in der Gemeinde 18 Millionen Euro Schaden verursacht, „das hätten wir uns heuer erspart, wenn es das System schon gebe". Die Gemeinde wäre schon seit Jahren bereit gewesen, ihren Beitrag - üblicherweise ein Achtel der Kosten, den Rest teilen sich Land und Bund (50 Prozent) - zu leisten, aber von diesen hätte es immer wieder geheißen, es gäbe kein Budget.
„Wir können nicht alles gleichzeitig machen", erklärt Norbert Knopf, Leiter der Abteilung Wasserbau im Land Niederösterreich. „Offizieller Baustart für den Hochwasserschutz in Marbach war immer 2016 - von uns war nie die Rede von einem früheren Zeitpunkt." Die Hochwasserschutzprojekte seien vor allem in Reihenfolge der Planungsabschlüsse erfolgt - und im Fall von Marbach sei dieses komplexer, weil mehrere Bachgerinne sowie die Nähe zu einem Kraftwerk einbezogen werden müssten.

Buergermeister klagt absaufen lassen
Buergermeister klagt absaufen lassen(c) Georg Renner.

Dass die Hochwasserschutzmaßnahmen dort, wo sie bereits umgesetzt worden sind, durchaus Erfolg haben, zeigt sich einige Kilometer weiter stromaufwärts, in Persenbeug: Gebe es die wenige Zentimeter dicken mobilen Schutzwände nicht, wäre die halbe Ortschaft schon am Montagvormittag unter Wasser gestanden. So stehen auf den Dammanlagen zwischen den Wänden mehrere Großeltern mit ihren Enkelkindern und starren gebannt auf die Wassermassen, die hinter den Wänden vorbeiströmen. „Hier ist das Wasser letztes Mal gestanden, deutet ein Anwohner der Donauuferpromenade auf die Markierung an einem Haus - „und so hoch stünde es jetzt, wenn wir den Schutz nicht hätten", deutet er in Kniehöhe, deutlich über dem Nivea des Erdgeschosses des Hauses.

326 Jahre. „So lange ist es her, dass die Donau hoch genug gestanden ist, dass sie hier über die Absperrung gekommen wäre", erklärt inzwischen ein Feuerwehrmann dem Ehepaar Martha und Ernst Binder, das aus dem am gegenüberliegenden Donauufer gelegenen Ybbs nach Persenbeug gekommen ist, um sich einen Überblick über die Hochwasserlage zu schaffen. Beide Gemeinden hatten 2002 unter dem Jahrhunderthochwasser zu leiden - gestern hielten die neu installierten Hochwasserschutzwände. Auch das Haus der Binders, die 2002 ihr ganzes Hab und Gut in den ersten Stock schaffen mussten, blieb trocken. „Hoffen wir einmal, dass es so bleibt", sagt Ernst Binder.

Stoisch nehmen die Melker die Katastrophe hin, die ihren Ort zum zweiten Mal in diesem Jahrtausend heimsucht: Wieder ist die Donau über die Ufer getreten, wieder stehen Hauptplatz und mehrere Dutzend Häuser unter Wasser - am Montagnachmittag steht die Prognose noch auf steigendes Wasser. Der Bau des Hochwasserschutzes hier hat erst im Februar begonnen - vor allem landschaftliche Aspekte haben die Planung in die Länge gezogen. Im Oktober sollte der Hochwasserschutz fertiggestellt sein. Sollte.

„. . . dann pumpen wir es wieder weg"

Trotz des steigenden Wassers nimmt die 5200-Einwohner-Gemeinde ihr Schicksal mit gelassener Routine hin: Der Gasthof Stadt Melk ist mit Spanplatten und Sandsäcken gesichert, die Fleischerei Sdraule hat spontan einen Gassenverkauf organisiert und versorgt Feuerwehrleute, Touristen und Journalisten über eine Sandsack-Bar mit Leberkäse. Auch in der Fleischerei ist das Wasser 2002 gestanden, „bis zum Knie" deutet eine Verkäuferin. „Und wenn es wiederkommt?" fragt ein Kunde - „dann pumpen wir es wieder weg".

Buergermeister klagt absaufen lassen
Buergermeister klagt absaufen lassen(c) APA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2013)

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