Schuldspruch im Fall Wastl - aber nicht wegen Mordes

Der Angeklagte sieht sich unschuldig. Der Ehemann hätte seine Frau gerempelt, sie sei daraufhin gestürzt. Die Leiche von Heidrun Wastl ist immer noch verschwunden.
Der Angeklagte sieht sich unschuldig. Der Ehemann hätte seine Frau gerempelt, sie sei daraufhin gestürzt. Die Leiche von Heidrun Wastl ist immer noch verschwunden.(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Der Angeklagte wurde wegen Im-Stich-Lassen eines Verletzten zu einem Jahr Haft verurteilt. Durch die Untersuchungshaft könnte er freigehen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

Mit einem Schuldspruch wegen Im-Stich-Lassens einer Verletzten hat am Mittwochabend am Landesgericht Wiener Neustadt der mehrtägige Prozess im Vermisstenfall Heidrun Wastl geendet. Der 42-jährige Angeklagte hatte die Kindergartenhelferin (37) im September 2001 nach seinen Angaben beim Wandern in einem Wald in der Buckligen Welt nach einem Sturz sterbend zurückgelassen. Ihre Leiche wurde nie gefunden.

Der 42-Jährige wurde zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt - bei einem Strafrahmen von bis zu drei Jahren. Er sollte, da er seit über einem Jahr in U-Haft war, noch heute enthaftet werden, hieß es. Das Urteil, mit dem die Geschworenen in stundenlanger Beratung die Mordanklage verwarfen, ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft gab keine Erklärung ab, ebenso die Verteidigung.

Schwierige Beratungen

Ein Mordfall ohne Leiche - nicht nur diese Tatsache stellte die Geschworenen vor eine schwierige Entscheidung. Sie zogen sich Mittwochnachmittag zur Beratung zurück. Einerseits mit den Worten des Staatsanwaltes im Ohr: "Ich bin überzeugt, dass der Angeklagte Heidrun Wastl am 28. 9. 2001 vorsätzlich getötet hat. Ich fordere Sie auf, die Mordanklage zu bejahen." Andererseits hörten die Laienrichter vom Verteidiger: "An wirklichen Fakten für Mord ist gar nichts da. Für eine Verurteilung ist das absolut zu wenig."

Schwierig schien eine Urteilsfindung auch aufgrund der juristischen Spitzfindigkeiten. Der Fragenkatalog, mit dem sich die Geschworenen auseinandersetzen mussten, reichte von Mord über Aussetzung, in Stich lassen einer Verletzten bis zur unterlassenen Hilfeleistung. Im schlimmsten Fall drohte dem 42-jährigen Angeklagten lebenslange Haft, im Falle einer Verurteilung lediglich wegen unterlassener Hilfe höchstens eine einjährige Freiheitsstrafe.

Anklage: "Nachvollziehbarste Version"

Was tatsächlich an jenem Septembertag im Jahr 2001 mit der 37-jährigen Mutter Heidrun Wastl passiert ist, konnte nicht mehr wirklich rekonstruiert werden. Staatsanwalt Wolfgang Handler gab selber zu, dass seine Anklage auf "der nachvollziehbarsten Version von vielen, vielen Versionen des Beschuldigten" basiere. Demnach sei der gelernte Tischler mit der seit damals verschwundenen Frau zu einem spontanen Ausflug in der Buckligen Welt aufgebrochen. Beim Klettern hätte er der Frau irgendwie mit dem Fuß einen Schlag versetzt, sie sei abgestürzt und hätte sich lebensgefährlich verletzt. Anstatt zu helfen, sei er in Panik davon und habe die Sterbende zurückgelassen.

Im Anfang Juni gestarteten Prozess wartete der Angeklagte aber mit einer wieder anderen Variante auf: Der eifersüchtige Ehemann hätte ihnen beim Wandern aufgelauert, seine Frau in einen Graben gestoßen und liegen gelassen. Nach der Zeugenaussage des Witwers, der dies klarerweise von sich wies, resignierte der Angeklagte: "Es ist hoffnungslos. Dass ich davon g'rennt bin und die Heidrun verletzt liegen hab lassen, das ist schon schlimm genug. Aber dass man mir Mord vorwirft, das ist furchtbar."

Von Wastl fehlt jede Spur

Von Heidrun Wastl, die mittlerweile für tot erklärt worden ist, fehlt jede Spur. Noch wenige Tage vor dem jetzigen Prozessfinale führten Geologen im Auftrag des Gerichts erneut Messungen in dem Gebiet durch, in dem der Angeklagte mit der Frau spazieren gewesen sein will. Messungen wie bei den Massengräbern in Srebrenica im Bosnienkrieg, wo anhand von Verdichtungen im Erdreich Relikte von Opfern gesucht worden waren, erläuterte Staatsanwalt Handler. Aber im Fall Wastl wurde nichts gefunden. "Ich glaube, dass Frau Wastl ganz woanders liegt", erklärte der Ankläger.

"Mein Mandant hat nicht immer die Wahrheit gesagt. Aber jemanden dafür, dass er gelogen hat, wegen Mordes zu verurteilen, das darf nicht sein", befand Verteidiger Ernst Schillhammer. Sollte man der Staatsanwalt-Theorie folgen, dass der Angeklagte die Verletzte einfach liegen habe lassen, so würde auch das nicht für eine Verurteilung reichen. Der Gerichtsmediziner habe nämlich ausgeführt, dass Heidrun Wastl nur dann Überlebenschancen gehabt hätte, wenn sie innerhalb von 30 Minuten auf einem Operationstisch gelegen wäre. Und das, so der Verteidiger weiter, wäre in dem abgelegenen Waldstück "undenkbar gewesen, selbst wenn ein Notarzthubschrauber gelandet wäre."

Spurlos verschwunden

Die Kindergartenhelferin hatte am 28. September 2001 ihren sechsjährigen Sohn von der Schule abholen wollen, kam dort aber nie an. Im Vorjahr wurde der Vermisstenfall neu aufgerollt, und der 42-Jährige, der als Bekannter zum Kreis der Verdächtigen gezählt hatte, wurde erneut befragt und schließlich in U-Haft genommen.

(APA)

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