Wie Österreich den Hausarzt vernachlässigte

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Wie Österreich den Hausarzt vernachlässigte ((c) Bilderbox.com
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Der "Arzt von nebenan" soll das System reformieren und die Kosten senken. Recherchen zeigen aber: Die Politik setzte bisher auf Spitäler.

Haus- und Landärzte werden dringend gesucht. Lokalmedien sind voll von Berichten. Berichten, die Einzelfälle darstellen, nach weiteren Recherchen jedoch ein System entlarven: Anstatt in den effizienten Gesundheitsgeneraldienstleister von nebenan zu investieren, verbesserten Bund, Länder und Kassen in den vergangenen Jahrzehnten die Rahmenbedingungen für teure Regionalspitäler und Fachärzte. Heute weiß niemand mehr, wie man das langfristig finanzieren soll.

Dazu gibt es eindrucksvolle Zahlen. Innerhalb der vergangenen 20 Jahre sank der Anteil der Hausärzte am gesamten medizinischen Personal von 15 auf gerade einmal neun Prozent. Blickt man bis ins Jahr 1983 zurück, dürfte sich dieser Wert mehr als halbiert haben.
sVom „besten Gesundheitssystem der Welt" (© mehrere Minister österreichischer Bundesregierungen) ist man damit weit entfernt. Im Rahmen einer Veranstaltung bei der Erste Bank zitierte Ärztekammer-Präsident Artur Wechselberger, selbst Allgemeinmediziner, internationale Studien, die Allgemeinmedizinerquoten zwischen 30 und 50 Prozent empfehlen.

Dabei sollen gerade Hausärzte in den nächsten Jahren der Politik aus dem Finanzdilemma helfen, die explodierenden Kosten des Systems dämpfen. Egal, mit wem man vom Gesundheitsminister abwärts spricht: Stets sind es die Hausärzte, die teure Spitalsambulanzen entlasten, unnötige Krankenhausbesuche verhindern und die Patienten - so die Vorstellung - nur im Fall des Falles an „echte" Spezialisten überweisen sollen.

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Schwierige Finanzen

Die Rahmenbedingungen für den Hausarzt als zentralen Gesundheitsdienstleister der Zukunft sind schlecht. Seit 1983 stieg die Zahl aller Ärzte in Österreich von 17.705 auf 41.268. Das ist ein Zuwachs von 133 Prozent. Die Zahl der Allgemeinmediziner mit allen Kassen (sogenannter §2-Ärzte) blieb gleich (siehe Grafik), bewegt sich seit Jahrzehnten knapp unter der 4000er-Marke. Nachsatz: Für 1983 haben wegen sich verändernder Berechnungsmethoden weder Kammer noch Hauptverband noch Statistik Austria vergleichbare Zahlen in den Datenbanken. Mehrere Experten gaben jedoch unabhängig voneinander an, dass man davon ausgehen könne, dass die Zahl jener von 1993 wohl sehr ähnlich sei.

Was das bedeutet? Zum Beispiel, dass 1983 je 1963 Personen auf einen Hausarzt kamen. Da die Bevölkerung wuchs, ist das Verhältnis heute 1:2200. Die Zunahme des ärztlichen Personals kam also insbesondere den Gruppen der angestellten Mediziner und der Fachärzte zugute. So mussten einerseits die Investitionen der Landeshauptleute in die Spitalsinfrastruktur mit Personal besetzt werden. Zum anderen ist es lukrativer, sich als Fach- und/oder Wahlarzt niederzulassen denn als Hausarzt. Auch dazu gibt es Daten.

14,23 Euro. So hoch, oder besser bescheiden, war 2010 der Umsatz pro E-Card-Konsultation (Berechnung: Ärztekammer) beim Hausarzt. Beim Facharzt ist es mit 44,20 Euro mehr als dreimal so viel, in der Spitalsambulanz kostet einmal die E-Card stecken im Schnitt 92,42 Euro.
Und auch wenn Allgemeinmediziner, die mit allen Kassen verrechnen, meist deutlich mehr Patienten haben: Im Schnitt verdienen sie nur 60 Prozent ihrer Kollegen, sollen nun jedoch die Gesundheitsreform von Bundesregierung und Ländern tragen. Das wird schwierig. Aus den Daten des Standesregisters kann man erkennen, dass in den nächsten zehn Jahren mehr als 50 Prozent aller Hausärzte das Pensionsalter erreichen. Nachwuchs ist - siehe oben - schwer zu bekommen.

Spitäler verursachen Operationen

Dabei könnte der Hausarzt als erster Ansprechpartner viel bewegen. Ende Mai berichtete „Die Presse" über eine unveröffentlichte Studie des Gesundheitsökonomen Florian Habersberger. Darin wies der Wissenschaftler nach, dass die bloße Existenz von Spitalsbetten Aufenthalte und Operationen verursacht, die womöglich gar nicht notwendig wären. Umgekehrt stellte die Studie fest, dass die systematische Stärkung des Bereichs der niedergelassenen Ärzte die Zahl der Spitalsaufenthalte - und damit Kosten - senke. Die Untersuchung sorgte für wütende Reaktionen in den betroffenen Bundesländern und Spitalsabteilungen.

Medizinisch werden Ambulanzen tatsächlich zu häufig angelaufen. Ein Rundruf der „Presse" (ein Privatspital, ein KAV-Spital, ein AUVA-Spital) ergab bereits im Februar, dass nach Einschätzung der ärztlichen Leiter 50 Prozent aller Patienten eigentlich vom Hausarzt behandelt werden könnten. Bei stationären Behandlungen ist die Tendenz wohl ähnlich: Mit 261 Spitalsaufenthalten pro Jahr und 1000 Einwohnern ist Österreich laut OECD-Vergleich Weltspitze.

Quellen: Statistik Austria, ÖÄK, HVB

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19. Juli 2013)

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