Der Hitzerekord, der so keiner war

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Vor eineinhalb Wochen wurde in Bad Deutsch-Altenburg der Hitzerekord Österreichs gemessen. Manfred Spatzierer, Chef-Meteorologe des Wetterdienstes Ubimet, erklärt, warum der Rekordwert so nicht ganz stimmen kann.

Die Presse: Herr Spatzierer, das niederösterreichische Bad Deutsch-Altenburg hat zuletzt mit 40,5 Grad den österreichischen Hitzerekord geknackt. Sie haben aber bereits vor einem Jahr in einem Blog-Eintrag die Werte der Station in Zweifel gezogen. Warum?

Manfred Spatzierer: Ich habe mir die Station damals im Zug einer Radtour angesehen und bemerkt, dass die Station auf einem Hang steht. Und so bekommt sie natürlich mehr Strahlung ab als eine Ebene. Und die Vorschrift ist eigentlich immer die, dass die Wetterstation auf einer Ebene stehen sollte.

Was heißt das für die Werte?

Durch den Hang – besonders, wenn der wie in Bad Deutsch-Altenburg südwestlich ausgerichtet ist – heizt sich der Boden mehr auf und damit steigt auch die Temperatur rund um die Wetterstation. Hinzu kommt, dass die hohen Temperaturen eigentlich nur auftreten, wenn es Südostwind gibt. Jetzt muss man wissen, dass südöstlich von dem Ort ein riesiger Steinbruch liegt, der sich über den Tag hinweg enorm erhitzt. Und bei Südostwind wird die Hitzeblase, die sich dadurch bildet, nach Bad Deutsch-Altenburg geweht.

Das heißt, der Hitzerekord wäre eigentlich in Neusiedl am See bei 40,3 Grad gelegen.

Nein. Denn in Neusiedl am See ist die Hanglage noch viel extremer. Ähnliches gilt für die Top 3 in Güssing, mit 40 Grad, wo es generell ein Problem mit der Station gibt. Diese steht dort zu nahe an einer Hausmauer, die die Ergebnisse verfälschen könnte. Richtig ideal liegt keine der Stationen.

Dann sollte man alle drei Werte gar nicht zählen?

Na ja, wenn man die Messungen in Wien, Innere Stadt, für bare Münze hält, dann muss man auch Bad Deutsch-Altenberg hernehmen. In Wien ist die Wetterstation in der Nähe der TU in einem total betonierten Gebiet montiert, wo weit und breit nichts von der vorschriftsmäßigen Rasenfläche zu sehen ist, auf der eine Station montiert sein sollte. Wenn ich bedenke, dass eine Stadt wie Wien natürlich auch eine Hitzeblase bildet, dann tu ich mir schwer, etwa den Effekt des Steinbruchs als verfälschend zu werten.

Aber gut geht es Ihnen auch nicht dabei.

Man bewegt sich in einem Graubereich. Ich muss mir als Meteorologe immer die Frage stellen, wie repräsentativ ist ein Wert für die Umgebung. Aber es ist bezeichnend, dass in einem großen Teil in ganz Österreich die 40 Grad nicht gemessen wurden. Und Tatsache ist, dass alle Über-40-Stationen durch die Umgebung einen Extrakick bekommen haben.

Wie heiß war es an dem Tag an einer idealen Wetterstation?

Wir haben an Stationen, die ideal liegen, 39,9 bzw. 39,8 Grad gemessen. Also in Hohenau oder Andau, da gab es solche Extrakicks nicht. Dort ist alles einfach ganz flach.

Wir haben die 40 Grad also nicht überschritten?

Doch. Da bin ich mir sicher. Es gibt auch Analysen, dass in der Weststeiermark durchaus zwischen 40,1 und 40,2 Grad aufgetreten sein könnten. Weil dort das steirische Windphänomen „Jauk“ nachgeholfen hat. Außerdem gibt es bei solchen Berechnungen eine Streubreite von 0,1 bis 0,2 Grad. Also die 40-Grad-Linie haben wir sicher geknackt.

Aber?

In Wahrheit müsste man ein bisschen was von den drei Rekordwerten abziehen. Nur dieses „bisschen was abziehen“, ist nicht wissenschaftlich. Aber wir Meteorologen wissen, dass hinter den Top 3 ein Fragezeichen steht.

Aber die Ubimet hat selbst eine Meldung mit dem Hitzerekord in Bad Deutsch-Altenburg herausgegeben. Da stand nichts von Fragezeichen.

Wir haben viel darüber diskutiert. Es ist die Macht des Faktischen. In die offiziellen Jahrbücher, die von der ZAMG geführt werden, werden die 40,5 Grad eingehen. Soll man da jetzt in der Öffentlichkeit einen Streit anzetteln? Der Wert ist amtlich. Die 40 Grad wurden überschritten. Aber nicht so viel, wie uns diese drei Wetterstationen suggerieren.

Einen Messfehler schließen Sie aus?

Ja. Auch weil in Neusiedl die Temperatur korrigiert wurde. Da hat die Temperatur zu Mittag innerhalb von drei Minuten um drei Grad geschwankt. Der Grund dafür lag an einem Lastwagen, der in der Nähe geparkt hat. Also die Temperatur lag nicht bei 40,6 sondern in Wahrheit bei 38 Grad.

Wenn jetzt schon ein parkender Lastwagen die Temperatur um drei Grad anheben kann, wie soll man dann überhaupt noch Wetterstationen glauben?

Na ja, es kommt auf die Umstände an: Ist der Motor noch gelaufen, ist da eine Abgaswolke in die Station gezogen worden? Welche Farbe hatte der Lastwagen? Wenn der dunkel angemalt ist, dann strahlt er mehr Hitze ab. Wir bewegen uns bei so hohen Temperaturen in einem Bereich, in dem jedes Zehntel zählt.

Wieso werden Stationen überhaupt an Orten aufgestellt, wo solche Beeinflussungen möglich sind?

Prinzipiell gibt es strenge Richtwerte. Wie viel Abstand es zu den Bäumen und den Häusern geben soll. Aber das ist nicht überall möglich, weil man unter anderem auch einen Stromanschluss braucht. Es gibt noch viel schlimmere Wetterstationen, die wirklich nicht mehr vertretbar sind.

Wie viele Stationen stehen so kritisch?

Ich kenne bei Weitem nicht alle.

Aber sollte man sie nicht einfach zudrehen?

Wenn man gar keine Kompromisse macht, dann hat man am Ende keine Wetterstationen mehr. Und solche Stationen messen ja nicht nur die Temperatur, sondern auch Wind und Regen. Da gibt es kein Problem.

Also eine große Reform der Wetterstationen in Österreich ist nicht notwendig?

Nein, ist sie nicht. Und eigentlich haben wir im Vergleich mit anderen Ländern ein sehr dichtes und auch gut gepflegtes Netz an Wetterstationen. Man muss nur seine Pappenheimer kennen und gewisse Dinge anhand von Stationen erklären können.

Zur Person

Manfred Spatzierer ist der Chef-Meteorologe des privaten Wetterdienstes Ubimet. Spatzierer hat den Wetterdienst 2004 gemeinsam mit dem Chemiker Michael Fassnauer gegründet. Das Unternehmen betreibt die Österreichische Unwetterzentrale und hat Niederlassungen in Europa und Australien. Seit 2012 ist Red Bull Teilhaber von Ubimet.

Blog. Spatzierer betreibt auf der Seite www.mswetter.com einen eigenen Blog rund ums Wetter. Wetterstationen, sagt er, werden in fünf Güteklassen eingeteilt. Wobei die drei Wetterstationen, die die höchsten jemals in Österreich gemessenen Temperaturen geliefert haben (Bad Deutsch-Altenburg, Neusiedl am See und Güssing), nicht in die drei vorderen Stationskategorien fallen würden. [Ubimet]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2013)

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