Cold-Case-Ermittler: Wie kalte Spuren heiß werden

Cold Case kalte Spuren
Cold Case kalte Spuren(c) APA/GEORG HOCHMUTH (GEORG HOCHMUTH)
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Wenn Kriminalfälle unlösbar scheinen, schlägt die Stunde der Cold-Case-Ermittler. Auch der Mord an Julia Kührer, der ab Dienstag vor Gericht verhandelt wird, wurde so bearbeitet.

Manchmal muss man einige Schritte zurückgehen, um das Bild in seiner Gesamtheit zu sehen. Das gilt für riesige Barockgemälde genauso wie für so manchen ungelösten Kriminalfall.

Doch während im Museum schon die räumliche Distanz den Blick schärfen kann, ist es bei Mord, Entführung und anderen Schwerverbrechen fast immer die Zeit, die hilft, die Dinge klarer zu sehen. Zeit, die an den Nerven der Angehörigen zehrt. Zeit, die den Ermittlern neue Möglichkeiten schafft. Willkommen in der Welt des Cold-Case-Managements.

Worum es dabei geht, zeigt die gleichnamige TV-Fernsehserie aus den USA („Cold Case – kein Opfer ist je vergessen“) recht anschaulich. Im Fokus stehen spektakuläre Kriminalfälle, die trotz Ausnutzung aller Möglichkeiten ungeklärt blieben.

Auch der Mord an der damals 16-jährigen Julia Kührer, die 2006 in Niederösterreich spurlos verschwunden ist, und der ab Dienstag vor Gericht verhandelt wird, ist so ein Fall. Alle Zeugen sind damals erschöpfend befragt, alle Spuren ausgewertet, alle Theorien überprüft worden. Ohne Erfolg. Das Verschwinden des Teenagers blieb den Beamten des Landeskriminalamts Niederösterreich ein Rätsel.

Bis Jahre später die Spezialisten des Bundeskriminalamts eingeschaltet wurden und auch der Zufall ein wenig nachhalf. Nun, immerhin sieben Jahre nach der Tat, muss der 51-jährige Michael K. wegen dringenden Mordverdachts auf der Anklagebank Platz nehmen. Warum?

Kampf mit ungleichen Mitteln. Weil die Zeit nicht nur Spuren verwischt, sondern auch neue erschließt. Das ist genau genommen das ziemlich banale Grundprinzip des Cold-Case-Managements: Nutze Technik und Methoden von heute, die Tätern und Ermittlern von damals nicht zur Verfügung standen. Es geht um einen Kampf mit ungleichen Mitteln, Rechtsstaat gegen Verbrechen, Wissenschaft gegen Blutrausch, Gut gegen Böse. In der TV-Serie kam das beim Publikum an.

In der nicht ganz so glamourösen Wirklichkeit ist die Arbeit von Cold-Case-Ermittlern vor allem eines: zeitaufwendig. Am Beginn stehen Gespräche mit den seinerzeit erfolglosen Kriminalisten. Danach wird viel gelesen. Fälle wie jener von Julia Kührer produzieren Ermittlungsakten in gigantischem Ausmaß. Befragungen, Spurenauswertungen und Berichte füllen oft ganze Archive. Dabei kann es bei der Wiederaufnahme auf winzige Details ankommen. Das erfordert Präzision und Akribie von allen Beteiligten. Nichts darf übersehen werden.

In Österreich gibt es dafür seit dem 1. Juli 2010 eine eigene Abteilung im Bundeskriminalamt, drei Männer, eine Frau. Obwohl diese gern tiefstapeln („Wir sind keine Superkriminalisten“), gehören sie zu den erfahrensten Fahndern, die das Land aufzubieten hat. Ihre Spezialgebiete: Terrorismusabwehr, organisierte Kriminalität, verdeckte Ermittlungen, Suchtgiftdelikte und Observation.

Welche Fälle das Team tatsächlich neu aufarbeiten soll, entscheidet formal der Direktor des Bundeskriminalamts, Franz Lang, mit seiner Unterschrift. Tatsächlich sind in die Entscheidung jedoch mehrere Personen eingebunden. Jährlich durchlaufen mehrere Dutzend Fälle eine Vorauswahl, in der Ermittler von damals, Abteilungsleiter und hohe Beamte aus dem Ministerium bewerten, ob eine Wiederaufnahme der Nachforschungen gerechtfertigt oder erfolgversprechend ist. Der anschließende Aufwand ist nämlich enorm.

Distanz ist Trumpf. Zwei bis drei Fälle können die vier Spezialisten mit ihren Helfern maximal gleichzeitig bearbeiten. Als Unterstützer kommen andere Polizisten, Psychologen, Biologen, Chemiker, Universitäten und Experten für jedes Fachgebiet infrage, was zur Klärung von Details beitragen kann. Im Fall Kührer war es eine Spezialistin für DNA-Auswertung, die Spuren des heute Angeklagten auf jener Decke fand, in der Leichenteile eingewickelt waren. Spuren, die man mit der Technik von 2006 gar nicht hätte auswerten können.

Neben dem Nutzen forensischer Methoden rekonstruieren Cold-Case-Ermittler minuziös Umfeld und Tagesrhythmus der Opfer. Dabei wirkt die Distanz zu Zeugen und Verwandten von damals als eine Art Turbo für neue Ansätze und Theorien. Während die Erstermittler in der Regel auf die Aussagen dieser Personen angewiesen sind, tun sich die Cold-Case-Manager leichter, sie und ihre Aussagen kritisch zu bewerten. Auch sie kommen dann plötzlich als Täter infrage.

Als Vorreiter in der Cold-Case-Analyse gilt die US-Bundespolizei FBI, die bereits 1996 ein entsprechendes Team aufgebaut hat. Durch den internationalen Austausch von Know-how gelangte die Idee, alte Fälle von zentral geführten Spezialisten neu aufzurollen nach Europa und setzte sich schnell durch. Neben dem Mord an Julia Kührer sind die prominentesten Fälle des Teams die Ermittlungen rund um die Entführung der Heidrun Wastl (Tatjahr: 2001) oder der Arsen-Mord am steirischen Tanzschulbesitzer Heinz Kern (1972).

Der Fall Kührer

Julia Kührer kehrt im Juni 2006 nicht von der Schule heim. Das Landeskriminalamt Niederösterreich kann die 16-Jährige trotz großen Aufwands nicht finden. 2010 übernimmt das neue Cold-Case-Management des Bundeskriminalamts den Fall. Die Bevölkerung wird um Hinweise gebeten, ein Nachbar findet Kührers Skelett auf dem Grundstück des Täters. Später entdeckt man eine verbrannte Decke, auf der die DNA des Verdächtigen sichergestellt wird. Am Dienstag startet in Korneuburg des Prozess wegen Mordes.

Faktenmix

Cold Case. Darunter versteht man einen Altfall, der aus Sicht der betrauten Kriminalisten ungelöst ist, bei dem alle Zeugen befragt, alle Theorien – ohne Ergebnis – überprüft wurden.

Cold-Case- Management. Steht für das systematische Aufarbeiten ungelöster Altfälle mit neuen Methoden. Im Bundeskriminalamt gibt es dafür eine eigene Abteilung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2013)

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