Die Chronologie: Ein Wilderer gegen 300 Polizisten

Wilderer gegen Polizisten Chronologie
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Skrupelloses Vorgehen und Ortskenntnis machten es möglich, dass ein Einzeltäter eine Armada von Einsatzkräften beschäftigte.

Brutale Verbrechen hinterlassen Ratlosigkeit. Bei Angehörigen, Öffentlichkeit, Medien. Auch im Fall jenes niederösterreichischen Wilderers, der am Dienstag drei Polizisten und einen Sanitäter getötet hat, ist die am häufigsten gestellte Frage: warum?

Warum hat Alois H. gewildert? Warum ist die Lage eskaliert? Warum konnten vier hoch spezialisierte Antiterrorkräfte des Einsatzkommandos Cobra einen Transportunternehmer aus Melk zunächst nicht überwältigen? Warum brauchte es Panzer, Hubschrauber, 135 weitere Cobra-Beamte und 200 Polizisten, um Alois H. letztendlich tot aus dem Schutzraum seines Hofes zu bergen?

Die Fragen sind aus Respekt vor Opfern und Hinterbliebenen vorsichtig zu stellen. Trotzdem verdienen sie Aufklärung. Ist in jener Nacht etwas schiefgelaufen? Die Antwort kann nur Ja lauten. Ein Einsatz, bei dem fünf Menschen ums Leben kommen, ist kein Erfolg. Und trotzdem wäre es falsch, davon zu sprechen, dass Fehler passiert sind. Auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag.

Dass die Cobra nach Wilderern fahndet, ist nicht ungewöhnlich. Sobald die Polizei von bewaffneten Tätern ausgeht, fordert sie Unterstützung bei der Sondereinheit an. Für solche Situationen wurden ihre Mitglieder ausgebildet. Für solche Situationen bekommen sie besondere Ausrüstung.

Dafür haftet der Einheit ein Nimbus von Unverwundbarkeit an. Doch auch die Elite der Polizei kann bei gefährlichen Einsätzen die Risken nur minimieren, niemals eliminieren. In Annaberg schoss der Täter nach dem Durchbrechen eines Kontrollpostens ohne Vorwarnung und aus dem Fahrzeug heraus auf das Auto, in dem vier Cobra-Männer saßen. Einer von ihnen starb. „In so einer Situation ist man als Polizist meistens Zweiter“, sagt ein Mitglied des Einsatzkommandos. Es sei denn, die Exekutive schießt präventiv. Ein solches Vorgehen wäre eines Rechtsstaats jedoch unwürdig.

Opfer trugen keine Schutzwesten

Am Mittwoch tauchten Fragen auf, warum die Schutzkleidung der Cobra-Beamten keine Wirkung zeigte. Die Antwort: Sie trugen keine. Helm, Brustpanzer und Protektoren sind sperrig, wiegen gemeinsam 27 Kilogramm. Voll ausgerüstet ist es unmöglich, ein Fahrzeug zu lenken. Zudem ist es fraglich, ob die Westen der schweren Jagdmunition des Täters – Kaliber 7,62 Millimeter – überhaupt standgehalten hätten. Immerhin erlegte H. damit auch Hirsche aus einer Entfernung von mehreren hundert Metern.

Nach der Flucht von Annaberg nach Großpriel bei Melk verschanzte sich der Täter in seinem Hof. Die erhöhte Lage verschaffte ihm guten Überblick und Deckung. Aus der Sicht eines Scharf- und Heckenschützen ein lohnender Standort. H. war Jäger und Mitglied im Schützenverein, konnte mit Waffen also sehr gut umgehen. All das veranlasste Cobra und Polizei dazu, entsprechend vorsichtig vorzugehen. Da man nun wusste, wozu H. fähig war, wurden zum Schutz und zur Aufklärung Panzer und Hubschrauber angefordert.

Dabei ist die Einsatztaktik von Spezialeinheiten für die Öffentlichkeit ein einziges Missverständnis. Gewaltsames Stürmen wie im Film gilt als die letzte von vielen Möglichkeiten. Das Spiel auf Zeit, Zermürbungstaktik, aufklären, tarnen und täuschen sowie – wenn möglich – direktes Verhandeln mit dem Täter sind für erfahrende Einsatzleiter die erste Wahl. Alles folgt dem Grundsatz, die Risken für Einsatzkräfte und Täter so gering wie möglich zu halten. Massiver Einsatz von Personal und Technik hilft dabei.

Aus der Sicht der Cobra waren Dienstagabend alle Mittel ausgeschöpft. Also näherten sich die Einsatzteams mithilfe der Panzer dem Hof, durchsuchten das Gebäude – und fanden die verkohlte Leiche des Täters.

Der Fall geht nun in die Analyseabteilung des Einsatzkommandos. Dort werden alle Feuergefechte der Polizei ausgewertet, um anschließend Erkenntnisse für spätere Einsätze zu gewinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2013)

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