Sonja Wehsely: Kassenfusion denkbar

Sonja Wehsely
Sonja WehselyMichaela Bruckberger
  • Drucken

Die Gesundheitsstadträtin stellt die Sinnhaftigkeit von 22 Sozialversicherungen infrage. In den öffentlichen Spitälern Wiens hätte sie gern mehr Patienten mit Zusatzversicherung.

Die Presse: Die Gesundheitsreform, die Sie als Vertreterin der Länder verhandelt haben, tritt 2014 in Kraft. Wann wird der Patient eine Veränderung spüren?

Sonja Wehsely: In Wien spürt er sie schon. Nach einer 15 Jahre dauernden Debatte um die Frage, wer wofür nicht zuständig ist, haben wir heuer zwei neue Entwicklungsdiagnostikzentren für 1000 Kinder eröffnet. Die Kosten teilen sich Stadt Wien und Krankenkasse.

Ist es so einfach: Bund, Länder und Kassen stellen fest, dass sie besser zusammenarbeiten müssen, wenn sie das System vor dem finanziellen Kollaps retten wollen – und plötzlich geht es?

In Wien ist eine neue Ära angebrochen. So gut wie jetzt haben wir mit der Gebietskrankenkasse noch nie zusammengearbeitet.

Und wann wird sich die Reform im Bund bemerkbar machen?

Die Frage ist, offen gesagt, auch: Was ist möglich? Wir versuchen, ein System umzustellen, in dem es jahrezehntelang nur darum ging, das Beste für einen selbst herauszuholen. Auf Kosten des anderen.

Kassen gegen Länder und umgekehrt. Und der Bund dazwischen.

Genau. Die Kosten wurden hin- und hergeschoben, ohne zu schauen, was für das Gesamte am besten ist. Daher ist es unrealistisch zu sagen: Nächstes Jahr wird alles besser.

Während alle über schlankere Strukturen reden, werden mit den Zielsteuerungskommissionen neue geschaffen. Sinnvoll?

Man kann sich natürlich lustig machen: Super, da treffen sich dieselben Leute unter einem neuen Titel. Aber Tatsache ist, dass wir Krücken finden mussten, um eine Reform möglich zu machen.

Mit Krücke meinen Sie: Bund, Länder und Kassen wollten keine Kompetenzen abgeben.

Richtig.

Apropos Krücke: Im AKH gibt es einen Kindernotdienst, weil man am Wochenende kaum einen Kinderarzt fand. Konterkariert das nicht ein zentrales Reformziel: die Entlastung der Spitäler?

Die Bedenken sind richtig, aber da das mit der Ärztekammer nicht lösbar war, haben wir diese Variante gewählt. Wir evaluieren laufend und schauen, ob der Zulauf ins AKH größer wird. In diesem Fall müssten wir das Projekt beenden.

Wenn Sie für Konsequenz plädieren: Sollte man nicht, statt Gesundheitsleistungen versteckt zu rationieren, offen Prioritäten setzen? Großbritannien plante, bestimmte teure Eingriffe bei Älteren nicht mehr zu machen.

Zu sagen, wir haben die Summe X, daher gibt es für Leute über dem Alter XY ohne Zusatzversicherung kein Hüftgelenk mehr, davon halte ich nichts. Aber gemeinsam Prioritäten zu setzen wie die Schweden, das ist spannend. Ist etwa die freie Arztwahl – dass ich jeden Tag zu einem anderen Doktor gehen kann, wenn ich will – ein Wert an sich? Die Schweden sagten Nein.

Wollen Sie die freie Arztwahl abschaffen?

Nein. Ich bin aber für eine Priorisierungsdebatte unter Fachleuten.

Gibt es in Österreich eine Zweiklassenmedizin?

Nirgendwo gibt es gesellschaftlich so geringe Ungleichheiten wie im Gesundheitssystem, daher würde ich sagen: Nein. Aber was verstehen Sie darunter?

Wenn jemand, der zusatzversichert ist, einen früheren OP-Termin bekommt. Passiert täglich.

Ein Reformziel ist ein Wartezeiten-Monitoring, auch im niedergelassenen Bereich. Es soll Richtwerte für Eingriffe wie Untersuchungen geben. Welche Wartezeit akzeptabel ist, müssen Mediziner beantworten.

Soll es für jemanden mit Zusatzversicherung schneller gehen?

Um den Punkt schummeln wir uns alle herum. Eine Million Österreicher haben eine Zusatzversicherung. Ich sage offen: Der Wiener Krankenanstaltenverbund ist europaweit der größte Spitalserhalter, daher habe ich größtes Interesse an zusatzvericherten Patienten.

Sagt eine Sozialdemokratin.

Wir leben im Kapitalismus, da kann sich jeder entscheiden, wie er will. Aber wenn es uns gelingt, mehr von diesem privaten Geld in die öffentlichen Spitäler zu bringen, wäre das auch eine Form der Umverteilung.

Brauchen wir eigentlich 22 Sozialversicherungsträger?

Ich bin keine Expertin für Sozialversicherungen, aber die regionalen Kassen sind sinnvoll. Die Situation in Wien ist anders als in den Bergregionen Tirols.

Aber was ist etwa der Sinn einer eigenen Beamtenversicherung?

Den kann man hinterfragen.

Warum hinterfragt man ihn in den Koalitionsgesprächen nicht?

Ist das so? Ich kann nur sagen: Man sollte genau hinschauen.

Soll man eine gesündere Lebensweise durch geringere Krankenkassenbeiträge belohnen? Etwa, indem Nichtraucher weniger zahlen. Die SVA probiert das im Rahmen des Selbstbehalts.

Ich halte die Idee für scheinheilig. Nicht, weil ich gegen Eigenverantwortung wäre, aber man kann es nicht nur am Einzelnen festmachen, es liegt auch an den Lebensverhältnissen. Für die gut verdienende 43-jährige Akademikerin, um mich als Beispiel zu nehmen, ist es leichter, regelmäßig Sport zu treiben, als für die türkische Migrantin mit vier Kindern. Zudem müsste man die Industrie, die an zuckerhaltigen Lebensmitteln viel verdient, in die Verantwortung nehmen.

Steuern auf Schokolade?

Steuern auf zu viel Zucker in Lebensmitteln. Man müsste generell prüfen, was europarechtlich geht.

Prüfen ließ auch die Wiener ÖVP das Wiener Budget. Demnach könnten im Gesundheitsbudget 678,6 Mio. Euro gespart werden.

Wo und wie gespart werden soll, bleibt dabei offen. Wir halten die Kostendämpfung ein.

Können Sie garantieren, dass das Krankenhaus Wien Nord nicht mehr als die geplanten 825 Mio. Euro kosten wird. Kritiker rechnen mit dem Doppelten.

Die Inflation nicht eingerechnet, werden wir das einhalten.

Wie viel Geld müssen Sie für die AKH-Sanierung reservieren?

Das rechnen gerade Experten durch. Klar ist, diese Frage muss Gegenstand im Regierungsübereinkommen sein. Spitzenmedizin ist kein Länder-Hobby.

Die Bundesregierung soll verkleinert, das Gesundheitsministerium eingespart werden. Halten Sie das für eine gute Idee?

Man kann das dann nur im Zusammenhang mit der gesamten Regierung beurteilen.

Wären Sie selbst gern Gesundheitsministerin?

Nein.

ZUR PERSON

Sonja Wehsely (43), ist seit 2007 Wiener SPÖ-Stadträtin für Gesundheit/Soziales. Als Ländervertreterin hat sie die Gesundheitsreform mitverhandelt. Sie hat einen Sohn mit Andreas Schieder, SPÖ-Klubchef und (Noch-)Finanzstaatssekretär. Eine These lautet: Weil er im Bund Karriere macht, „muss“ sie in der Landespolitik bleiben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.