Franz Fuchs: Der Terror vor 20 Jahren

(c) APA (Harald Schneider)
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Könnte einer wie Franz Fuchs wieder zuschlagen? Würden Ermittler wieder so vorgehen? Und würde der Ort Gralla ohne seinen einschlägig bekannten Sohn heute anders aussehen?

Es hat uns noch mutiger gemacht, gezielt auf Menschen zuzugehen.“ Mit „es“ meint der steirische Pfarrer August Janisch jene beispiellose Terrorwelle, die fünf Briefbombenserien mit zehn Verletzten ebenso umfasste wie Rohrbombenanschläge, die am 5.Februar 1995 darin gipfelten, dass vier Bewohner der Roma-Siedlung im burgenländischen Oberwart starben. Janisch wurde vor fast genau 20 Jahren, am 3.Dezember 1993, das erste Briefbombenopfer. Er engagierte sich für Flüchtlinge im steirischen Hartberg, erlitt Verletzungen im Gesicht und an der linken Hand. Nunmehr gehört der 71-Jährige dem Stift Rein bei Graz, dem ältesten Zisterzienserstift der Welt (seit 1129), an. Könnte rassistischer Terror Österreich wieder treffen? Würde man ähnlich reagieren? „Die Presse am Sonntag“ ging Fragen wie diesen nach.

1. Wären Anschläge wie damals gegenwärtig wieder möglich?

„Ja“, sagt der Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), Peter Gridling, unumwunden. Der Attentäter Franz Fuchs war ein Eigenbrötler. Gerade der Tätertyp des einsamen Wolfes (Lone Wolf) beschäftigt derzeit Polizeibehörden. Dabei handelt es sich um radikalisierte Einzeltäter, die „im Verborgenen“ agieren, wie Gridling das ausdrückt. Solches Potenzial sei aktuell in Österreich vorhanden. Bei einem Täter, der – wie einst Fuchs – Computer meidet, hätte es die Polizei doppelt schwer, da sie keine elektronischen Spuren aufnehmen könnte. Auch das Motiv von damals, Ausländerhass, ist noch lange nicht aus der Gesellschaft verschwunden.

Dass Brief- bzw. Paketbomben immer wieder versendet werden, zeigt das Beispiel der linksextremen italienischen Gruppierung FAI, die erst im Dezember 2011 dem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann eine Paketbombe schickte. Diese konnte entschärft werden. Ein anderer Sprengsatz explodierte kurz darauf in Rom in einer Filiale der Steuereinzugsgesellschaft Equitalia und verletzte deren Generaldirektor an den Händen. Für Österreich meint der Historiker Oliver Rathkolb: „Ich glaube, dass die Aggression draußen ist, solange die soziale Situation halbwegs stabil ist. Wenn sich das ändert, wie etwa in Griechenland, dann könnte sich Derartiges wiederholen.“


2. Hätte die Polizei im Falle des Falles bessere Mittel zur Verfügung?

Auch das beantworten die wichtigsten Kriminalisten des Landes, BVT-Chef Gridling und der Leiter des Bundeskriminalamtes, Franz Lang, mit einem eindeutigen Ja. Die Forensik (wissenschaftliches Aufarbeiten krimineller Taten), deren praktische Anwendung, also die Kriminaltechnik (Stichwort: Tatortarbeit), aber auch das Profiling (Täterprofil-Erstellung durch Kriminalpsychologen) machen große Fortschritte. So gehört etwa die Untersuchung der Isotopenstruktur von Wasser zum Repertoire guter Kriminallabore. Schon nach Oberwart – doch damals galt dies als Sensation – wurde das Wasser im Gipssockel der Bombe analysiert. Man fand heraus, dass es aus der Südsteiermark stammen müsse. Übrigens: Die Isotopenuntersuchung wurde ursprünglich in der Lebensmittelkontrolle eingesetzt, um etwa gepantschten Wein zu erkennen.

Auch die Rechtsgrundlagen änderten sich. Wenn auch Fuchs Computern „misstraute“, so sind diese mittlerweile allgegenwärtig und bieten Tätern, die Botschaften verbreiten wollen, einerseits eine (anonyme) Plattform, andererseits Distanz zu ihren Opfern. Gridling begrüßt, dass die „erweiterte Gefahrenforschung“ nun auch auf Einzelpersonen anwendbar ist – auch dann, wenn „das Strafbarkeitslevel noch nicht erreicht ist“. Konkret: Die Äußerungen potenzieller Täter, die durch Internet-„Manifeste“ oder dergleichen auffallen, dürfen nun zumindest vorübergehend gespeichert werden.

3. Würden heutzutage erneut Verschwörungstheorien blühen?

Zweifellos. Verschwörungstheorien gelten als Begleiterscheinung spektakulärer Verbrechen. So wurde etwa Natascha Kampusch nach offizieller Darstellung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vom Einzeltäter Wolfgang Priklopil entführt (wie Fuchs nahm auch er sich später das Leben); nach Meinung rastloser „Privatermittler“ waren mindestens zwei Täter am Werk. In Sachen Briefbomben wurden Verschwörungstheorien vom Täter regelrecht herbeigeschrieben, wiesen die Bekennerbriefe doch eine geheimnisvolle „Bajuwarische Befreiungsarmee“ als Urheber aus.

Allerdings meldeten schon bald auch einige Bombenopfer Zweifel an der Ein-Täter-These an. Auch zwei mit der Analyse der Briefe offiziell beauftragte Historiker und einer der damaligen Sonderermittler äußerten wiederholt den Verdacht, dass Fuchs zwar der Bombenbauer, nicht aber der Briefeverfasser gewesen sei.


4. Sähe Gralla, Geburts- und Wohnort von Franz Fuchs, heute anders aus?

„Die Gemeinde hätte sich genauso mit oder ohne Fuchs entwickelt“, sagte der heutige SPÖ-Bürgermeister des südsteirischen 2200-Einwohner-Ortes, Hubert Isker, jüngst der Austria Presse Agentur. Dass man auf Wikipedia unter dem Begriff „Gralla“ und der Rubrik „Söhne und Töchter“ einzig und allein den Eintrag „Franz Fuchs, Terrorist“ finde, störe ihn klarerweise. Entscheidend sei, dass sich der Gewerbe- und Agrarort auf Wachstumskurs befinde.


5. Würden Medien ähnlich (umfangreich) wie damals berichten?

Freilich wäre eine Terrorserie ein mediales Topereignis. „Herausragend, abweichend, normenverletzend“, getragen von „Negativismus“ – so charakterisiert der Kommunikationstheoretiker Burkart Roland vom Wiener Publizistikinstitut die Gründe für die zu erwartende große Aufmachung. Dazu kämen „große öffentliche Relevanz“ und „Betroffenheit“. Auch dass eine Zeitung in Absprache mit der Polizei eine Schlagzeile abseits der Realität und „nur“ deshalb bringt, um den damals fast schon verzweifelt gesuchten Täter nervös zu machen, darf von der heutigen Medienlandschaft erwartet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2013)

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