Zwei Quereinsteiger geben's dem Zucker "heiß-kalt"

Zwei Quereinsteiger geben's dem Zucker
Zwei Quereinsteiger geben's dem Zucker "heiß-kalt"Teresa Zötl
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Ein Sänger und eine Juristin beleben ein fast ausgestorbenes Gewerbe mitten in der Wiener Innenstadt wieder: das Zuckerlmachen.

Klirrend fallen in Höllentempo klitzekleine Grapefruitscheiben in die stählerne Auffangbox, die sich rasch füllt. Christian Mayer hält einen ein Meter langen orangefarbenen Stab über einen kleinen Granitquader und hackt mit einer offenbar gut geschärften Küchenspachtel Scheiben herunter – Querschnitt: Grapefruit. Wie splitterndes Glas klingen die Scheibchen, kleiner als ein Daumennagel, und aus Glas sind sie auch. Genauer gesagt, aus Glaszucker – außen herum. Das Innenleben der Miniaturfrüchte gibt sich zugänglicher, poröser. „Erstaunlicherweise ist das Hacken für die Kunden der aufregendste Arbeitsschritt“, sagt Mayer. „Wahrscheinlich, weil wir da mit vollem Karacho hineingehen.“

Metamorphose des Zuckers

Christian Mayer und Maria Scholz haben ihre bisherigen Berufe auf Eis gelegt, um sich der altmodischen Herstellung von Motivzuckerln zu widmen. Der Sänger und die Juristin entdeckten im Vorjahr im Urlaub eine Zuckerlwerkstatt und verbrachten Stunden darin, fasziniert von der Technik und der Metamorphose des Zuckers. Der letzte Satz der Geschäftsinhaberin war: „Warum macht ihr das nicht einfach selbst?“ Also machten sie.

Sie suchten jemanden, der ihnen das Handwerk beibringen wollte, und wurden in einer deutschen Manufaktur fündig. „Bei uns ist das Handwerk fast ausgestorben, je weiter man aber nach Norden kommt, desto normaler wird es. In Dänemark haut das, was wir machen, keinen aus den Socken“, sagt Mayer. Vor Kurzem eröffneten die beiden im ältesten Hochhaus Wiens in der Herrengasse ihre Bonbonmanufaktur. Mit großen Scheiben, denn Einblicke in die Produktion gehören zum Konzept. Und wirklich, viele Passanten kleben am Glas, während Scholz und Mayer ihre diversen Sorten produzieren. Zweimal pro Tag werden die Zuckerstränge gerollt und gezogen. „Die Herzerlzuckerln machen wir sogar stereo.“ Im Geschäft ist es kühl, die Luft ist trocken. „Einer der Hauptfeinde für Zuckerln ist Luftfeuchtigkeit“, sagt Mayer, sowohl bei der Herstellung als auch bei der Lagerung. „Das kennt man eh: Wenn man als Kind einen Schlecker irgendwo liegen lässt, klebt er nach kurzer Zeit auf dem Untergrund fest.“

Teresa Zötl

Im Hinterzimmer wird Zucker mit Wasser und Glukose gekocht – und die Temperatur mit einem Laserzuckerthermometer überprüft. Ein bisschen modernisieren darf man das alte Handwerk dann doch. Alles andere passiert vorn im Geschäft, vor den Kunden und Schaufensterbummlern. Produziert wird ab sechs Kilogramm Zucker. Manchmal ist es auch die doppelte Menge, dann artet das Ganze in körperliche Schwerarbeit aus: Der große Topf mit der brennheißen, aromatisierten Zuckermasse wird auf eine schwarze Granitplatte gekippt, die Masse später mit Armen und Händen weiter bearbeitet. Zunächst wird die auf den kühlen Stein gegossene Zuckermasse mit Zitronensäure verrührt, „für die Geschmackstiefe, wie Honig in der Salatmarinade, nur umgekehrt“. Auch die Lebensmittelfarbe kommt dazu, im Falle der Grapefruit sind es drei Farbmassen, die getrennt voneinander vorbereitet werden: Pink für das Fruchtfleisch, Weiß für die Trennwände sowie Orange für die Schale.

Die Temperatur ist eine knifflige Sache: Zunächst soll die Masse heiß und flüssig bleiben, damit die Farbe eingearbeitet werden kann, dann braucht es die jeweils richtigen Temperaturen, um die Bonbonmasse formen und rollen zu können.

Spektakulär ist der Arbeitsschritt des Ziehens: Die Zuckerlmacher haben sich dafür zwei große Stahlhaken über Kopfhöhe an die Innenflanken des Geschäfts montieren lassen. Die gut warme Masse wird immer und immer wieder in Achterschlingen über die Haken geworfen und gedehnt, das Ganze erinnert an das Ziehen von asiatischen Nudeln. Dabei verteilt sich das Aroma, und, viel wichtiger, es kommt Luft hinein: „Aus Glaszucker wird dadurch weicher Zucker.“ Die orangefarbene Masse für die Schale des Grapefruitmotivs bleibt unbearbeitet – deshalb splittert sie später.

Winzige Zuckerln aus dicker Rolle

Die beiden schlingen also mit Industriehandschuhen synchron den weißen und den pinkfarbenen Strang über die großen Haken. „Maria, wie schaut's bei dir aus?“ „Gut!“ Die mit Luft versetzten Zuckermassen werden nun zu Fruchtfleisch und Trennwänden geformt, insgesamt muss eine dicke Rolle entstehen, die später zu den dünnen Stangen mit dem Querschnitt der fertigen Bonbons gezogen wird. Die Segmente für die Grapefruitvariante sehen zunächst aus wie Toblerone ohne Kerben, die weiße Masse wird dazwischen eingefügt, die orange Glaszuckermasse bildet den Mantel der Rolle, die nun allmählich dünner gerollt und schließlich in Stangen gezogen wird. Der Querschnitt: eine Grapefruitscheibe.

Und ab dem Rollen wird es auch für die Kunden endlich ersichtlich, wie die Motive – rund 40 sind es zurzeit – in die winzigen Zuckerln kommen. Das versteht nämlich kaum jemand, vor allem nicht bei den eingeschlossenen Buchstaben, die Mayer und Scholz inzwischen gut können – „das Schreiben ist die Königsklasse“. Die Bonbons sind mittlerweile als Firmengeschenke gefragt. Die Zuckerlmacher müssen sich dabei überlegen, wie sie Schriftzug oder Logo so dreidimensional aufbauen, dass die Rolle später die gewünschten Buchstaben enthält. Da wird richtig getüftelt. „Die Technik ist so old-school, geil, oder?“ Aus der dicken, kurzen Ausgangsrolle werden, je nach Zuckermenge, 30 bis 40 Meter dünne Stangen. Diese kühlen auf kaltem Stahl aus und werden schlussendlich mit Karacho zu jenen Zuckerlscheiben gehackt, die klirrend in der Auffangbox landen und später in Gläser gefüllt werden.

Info

Snoepjes: Herrengasse 6-8, 1010 Wien

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2013)

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