»Wir sind an Grenzen gegangen«

Klaus Schwertner, Geschäftsführer der Caritas Wien, hat von Beginn an denAsylwerberprotest in der Votivkirche begleitet. Gespräch über eine Zeit, in der er immer wieder ans Aufhören gedacht hat.VON EVA WINROITHER

Herr Schwertner, seit wann sagt man eigentlich Refugees zu Asylwerbern?

Die Männer haben sich selbst als Refugees bezeichnet. Das ist das erste Mal, dass Asylwerbende selbst für ihre Anliegen eingetreten sind, und das haben wir als Caritas auch unterstützt.

Mittlerweile gibt es eine Refugee-Bewegung. Ist das etwas Spontanes oder etwas in Europa Organisiertes?

Es fällt auf, dass es in mehreren Staaten zu solchen Protesten gekommen ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nichts europaweit Organisiertes ist.

Aber die Menschen dahinter benutzen teilweise ähnliche Logos. Wieso glauben Sie, dass das nicht europaweit organisiert ist?

Natürlich wird es einen Austausch zwischen den Protesten geben. Das ist legitim. Ich glaube aber nicht, dass dahinter ein europäisches Netzwerk steckt. So funktioniert das nicht.

Sie haben selbst gesagt, dass man Asylwerber nicht instrumentalisieren darf. Wie stellt die Caritas sicher, dass sie sich nicht von dieser Bewegung instrumentalisieren lässt?

Wir sind als Caritas nicht naiv. Wir haben intern immer wieder diskutiert, worin unsere Aufgabe liegt. 2012 sind wir in die Votivkirche gerufen worden, um zu vermitteln. Das haben wir gemacht. Seither haben wir uns jeden Tag gefragt, was unsere Aufgabe ist, wie weit wir gehen können. Und: Dürfen wir diese Männer anders behandeln als die Menschen in unseren Flüchtlingshäusern?

Dürfen Sie?

Sie haben eine Sonderstellung, weil sie für ein Anliegen eingetreten sind und sie sich deswegen auch besonders exponiert haben. Gleichzeitig haben sie auch auf Probleme aufmerksam gemacht, auf die wir in unserer täglichen Arbeit immer wieder stoßen.

Heißt das, dass Menschen, die in die Medien gehen, auch mehr Aufmerksamkeit von der Caritas bekommen?

Seit 2006 wurde das Asyl- und Fremdenrecht elfmal verschärft. Dass das zu Ungerechtigkeiten führt, verwundert nicht. Wenn Sie mich fragen, ob wir damals froh waren, als Caritas in die Votivkirche geholt zu werden: Nein. Aber froh ist keine Kategorie. Wir wurden von vielen Seiten kritisiert. Gleichzeitig glaube ich: Wir würden wieder so handeln.

Die Proteste haben auch die Frage aufgeworfen, ob sich Asylwerber politisch organisieren dürfen. Dürfen sie?

Ich halte es für ganz wichtig, dass Menschen für ihre Anliegen selbst eintreten. Der Protest hat auch in der Caritas viel verändert. Im Behindertenbereich gibt es etwa schon seit Jahren Interessenvertreter. Das ist im Asylwesen neu.

Wenn sie wirklich für sich selbst sprechen.

Ich war selbst wochenlang in der Votivkirche und später im Servitenkloster. Und ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Menschen sehr klar sagen, was sie wollen und was nicht.

Unter anderem wollten sie die Hilfe der Caritas nicht. Das haben sie mehrmals gesagt.

Verzweiflung ist kein guter Ratgeber. Und diese Menschen sind verzweifelt, das war für uns sehr herausfordernd. Wir sind auch als Caritas an unsere Grenzen gegangen. Rückblickend glaube ich, dass die Männer geglaubt haben, dass wir ihnen einen legalen Status verschaffen können. Das ging natürlich nicht. Wir sind ein Rechtsstaat. Auch wenn wir uns humanere Gesetze wünschen würden.

Haben Sie je überlegt, sich zurückzuziehen?

Natürlich hatte ich diese Momente. Vor allem, wenn man von den Flüchtlingen selbst kritisiert wird. Gleichzeitig glaube ich, dass die Arbeit der Caritas an der Seite von Schutzsuchenden ist, und das hat uns bestärkt weiterzumachen.

Wann war noch so eine Situation?

Als der Hungerstreik begonnen hat. Wenn es zu gesundheitsgefährdenden Situationen kommt, fragt man sich, ob man das noch verantworten kann.

Andere hatten da weniger Probleme.

Es ist ganz wichtig, die Asylbewegung als eine differenzierte Bewegung zu sehen. Wir haben es als Caritas immer kritisch gesehen, wie Einzelne die Flüchtlinge beraten haben. Daraus haben wir nie einen Hehl gemacht. Einige wenige haben versucht, politisch aus dem Protest zu profitieren.

Die Asylwerber haben auch ganz klare Forderungen gestellt. Stehen Sie dahinter?

Wir haben immer gesagt, dass wir nicht hinter allen Forderungen stehen. Wir unterstützen etwa den Zugang zum Arbeitsmarkt nach sechs Monaten oder ein europäisches Asylsystem. Österreich hatte heuer 20.000 Asylanträge. In den syrischen Nachbarstaaten werden derzeit zwei Millionen Flüchtlinge betreut. Deutschland hat die Aufnahmezahl von 5000 auf 10.000 syrische Flüchtlinge verdoppelt. Österreich hat sich medienwirksam vor den Wahlen bereit erklärt, 500 aufzunehmen. Meines Wissens nach sind bis jetzt 120 aufgenommen worden.


Innenministerin Mikl-Leitner wollte damals nur Christen aufnehmen. Ist das in Ordnung?

Die Caritas hat immer betont, dass die UNHCR die Auswahl treffen soll. Und dass dabei etwa Kinder, aber auch religiöse Minderheiten bevorzugt werden, ist wichtig. Christen sind in der Region eine Minderheit. Deswegen wird sicher auch die Religion eine Rolle spielen.

Das war nicht die Frage. Ist es korrekt, nur Christen ins Land zu holen?

Ich glaube, die verantwortlichen Politiker wären gut beraten, die Auswahl den Experten zu überlassen. Als Caritas sagen wir immer, dass Menschen in Not unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Religion geholfen werden muss.

2014 soll das neue Bundesamt für Asyl- und Migration starten. Ihre Einschätzung?

Wir merken, dass vieles nicht einfacher wird, sondern komplizierter. Und wenn ich in der Zeitung lesen muss, dass ehemalige Postbeamte in Zukunft entscheiden sollen, ob Asylwerber in Österreich bleiben dürfen, dann stimmt mich das sehr nachdenklich. Auch wenn ich Umschulungsmaßnahmen grundsätzlich für sinnvoll halte.

Das heißt, es wird nicht besser werden.

Wir sind äußerst skeptisch.

Sebastian Kurz ist der neue Außenminister. Die Integrationsagenden nimmt er mit. Erwarten Sie sich etwas von ihm?

Die Themen Integration und Asyl sind im Innenministerium strikt getrennt worden. Wir hätten uns als Caritas manchmal gewünscht, dass sich – wenn es um junge Menschen geht – auch das Staatssekretariat für Integration dazu äußert. Das ist aber nicht passiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.12.2013)

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