Lektionen einer Krawallnacht

Mehrere Verletzte, zig Anzeigen und bis zu eine Million Euro an Sachschäden: eine Analyse der Ereignisse rund um den Akademikerball und die Ausschreitungen dagegen.

Zwanzig Verletzte, darunter mindestens vier Polizisten. 15 Festnahmen – inzwischen alle wieder auf freiem Fuß. 70 Anzeigen wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot. Elf (zum Teil schwer) beschädigte Polizeiautos. 31 unterschiedliche Tatorte, an denen in der Innenstadt Sachbeschädigungen aufgenommen wurden.

Das ist eine erste Zwischenbilanz, die die Polizei gestern, einen Tag nach dem Akademikerball der FPÖ in der Wiener Hofburg und den teilweise gewalttätigen Demos dagegen, veröffentlicht hat. Sowohl die Zahl der Sachschäden als auch jene der Anzeigen dürfte in den kommenden Tagen allerdings noch steigen, wenn weitere Tatorte besichtigt und Videoaufnahmen ausgewertet werden, erklärt Polizeisprecher Roman Hahslinger.

Die Sachschäden aufgrund eingeschlagener Fensterscheiben, demolierter Autos und anderer Vandalenakte der Demonstranten dürften sich am Ende auf über eine Million Euro belaufen, schätzt die Polizei. Die „Offensive gegen rechts“, einer der Trägervereine der Demos, berichtet inzwischen von „massiver Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten“, etwa mit Pfefferspray und Schlagstöcken. Bei der Exekutive selbst sind bis Samstagmittag keine Anzeigen wegen Misshandlung durch Polizisten eingegangen.

Ob der Einsatz von 2000 Polizisten aus ganz Österreich ein Erfolg gewesen sei? „Erfolgreich kann man angesichts der Schäden, die im Umfeld verursacht worden sind, nicht sagen“, sagt Hahslinger. Erst kommende Woche würden der Einsatz und die begleitenden Maßnahmen evaluiert – im Vorfeld war die Polizei massiv für die Ausweitung der Sperrzone, die Ausdehnung des Vermummungsverbots auf die Bezirke eins bis neun sowie für die „Einschränkung der Pressefreiheit“ kritisiert worden, weil auch Journalisten nur zeitlich begrenzt und unter Aufsicht in die Sperrzone durften (was am Freitagabend dann lockerer gehandhabt wurde – „Die Presse“ etwa konnte sich in der Sperrzone frei bewegen).


Fünf Erkenntnisse. Abseits der Debatte, die um den Ball und die Demonstrationen läuft – die Grünen haben angekündigt, die Polizeimaßnahmen „parlamentarisch aufarbeiten“ zu wollen, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erklärte die rot-grüne Stadtregierung beim gestrigen blauen Neujahrstreffen in Vösendorf für „eigentlich rücktrittsreif“ –, hat „Die Presse am Sonntag“, selbst am Freitag in der Innenstadt im Umfeld der Ausschreitungen unterwegs, einige Schlüsse gezogen.

Erstens: Der Großteil der Demonstranten verhielt sich friedlich. Die Polizei schätzt, dass von den etwa 6000 Demonstranten rund 200 gewaltbereit gewesen sind. Durch die Dynamik der Demo (siehe 5.) ist realistisch, dass viele, die in den Demozügen weiter hinten marschierten, nichts von den Ausschreitungen mitbekommen haben.

Zweitens: Eines der Probleme der Exekutive war, dass sich gewaltbereite Demonstranten unter friedliche mischten. Das war im Vorjahr weniger kritisch; 2013 hatten sich mehrere hundert Demonstranten dezidiert friedlich auf dem Heldenplatz zu einer Gedenkveranstaltung versammelt, bei der es zu keinerlei Auseinandersetzungen kam, die aber gleichzeitig in Sichtweite des Balleingangs stattfinden konnte. Dieses Ventil für friedliche Demonstranten, die sich von den Zügen mit Ausschreitungspotenzial fernhalten wollten, gab es heuer nicht: Da der Heldenplatz gesamt Teil der Sperrzone war, konnte die Kundgebung „Jetzt Zeichen setzen“ dort nicht stattfinden.

Drittens: Die Sperrzone war zu groß. Ganz abgesehen von den rechtsstaatlichen Implikationen eines so massiven Eingriffs in die Bürgerrechte: Die Polizei hat es nicht geschafft, sich innerhalb der Sperrzone so zu verteilen, dass sie sie effektiv durchsetzen konnte. Gegen 18 Uhr war der Großteil der Beamten am Ring – da randalierten bereits Demonstranten auf dem Stephansplatz, genau auf der anderen Seite der Sperrzone. Als diese Demonstranten dann durch die kleinen Innenstadtgassen vorrückten, trafen sie praktisch auf keinen polizeilichen Widerstand – bis mehrere Minuten später die Verstärkung vom Ring ankam, war die Sperrzonenbarrikade bereits gebrochen, die Polizei musste sich zurückfallen lassen.

Viertens: Die Polizei war nicht auf alle Eventualitäten vorbereitet. So berichtet Eva Blimlinger, Rektorin der Akademie der bildenden Künste, die in der Nacht von der Polizei abgeriegelt wurde, weil angeblich drei Randalierer hineingeflüchtet wären, dass zur Überprüfung der Personalien von 130 Menschen nur ein Computer zur Verfügung gestanden sei. „Es war komplett unprofessionell“, so Blimlinger.

Fünftens: Demos sind unberechenbarer geworden. Wo vor zehn Jahren noch ein einzelner Zug von A nach B marschiert wäre, sind Kundgebungen heute „gasförmig“: Trifft eine auf eine Absperrung, löst sie sich in einzelne Klüngel auf, die selbstständig weiterziehen und sich anderswo neu formieren. Aktivistenmassen werden so extrem beweglich und flexibel. Koordiniert wird das über Smartphones und soziale Medien – am Freitag etwa über das radikale „nowkr“-Netzwerk unter dem Motto „Unseren Hass könnt ihr haben“. Die Domain dafür haben übrigens die Jungen Grünen registriert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.01.2014)

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