Fußfessel trotz jahrelanger Haftstrafe

Archivbild: Eine
Archivbild: Eine "Fußfessel" für den elektronisch überwachten HausarrestAPA/HERBERT NEUBAUER
  • Drucken

Ein als Wirtschaftskrimineller verurteilter Wiener darf als U-Häftling trotz Fluchtgefahr eine Fußfessel tragen. Das Gefängnis bleibt ihm erspart. Ein Fall, der Schule machen könnte.

Wien. Diese Entscheidung des Oberlandesgerichts (OLG) Wien könnte dazu führen, dass der elektronisch überwachte Hausarrest auch während der U-Haft (also nicht nur als Ersatz für Strafhaft hinter Gittern) in Österreich zunimmt. Der Anlass: Ein zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilter Wirtschaftskrimineller, bei dem aktuell Fluchtgefahr besteht, darf dem Gefängnis fernbleiben. Er darf sich mit einer Fußfessel zu Hause bzw. am Arbeitsplatz aufhalten.

Vorigen August hatte ein Schöffensenat des Landesgerichts Wiener Neustadt den 38-jährigen Wiener Unternehmer wegen Veruntreuung und betrügerischer Krida verurteilt. Eben zu drei Jahren und sechs Monaten Gefängnis. Diese Strafe ist aber noch nicht rechtskräftig. Das Blatt könnte sich in zweiter Instanz noch wenden.

Schon vor der Verurteilung war von Fluchtgefahr ausgegangen worden, dem Mann war die Auflage erteilt worden, seinen Wohnort nicht zu verlassen. Zudem wurden ihm Reisepass und Personalausweis abgenommen. Obendrein musste er 100.000 Euro Kaution erlegen und geloben, seinen Wohnort nicht zu verlassen und sich alle zwei Tage bei der Polizei zu melden. Doch obwohl er gegen einige Auflagen verstoßen hatte (der Mann unternahm kurzerhand eine Reise, kehrte aber wieder zurück) und obwohl er später tatsächlich verurteilt wurde, gewährte ihm das OLG nun eine Fußfessel.

„Geordnete Verhältnisse"

Eigentlich tat dies schon das Landesgericht (LG) Wiener Neustadt, jenes Gericht, das ihn erstinstanzlich verurteilte. Schon das LG erlaubte - trotz Fluchtgefahr - einen Wechsel von (Gefängnis-)U-Haft in den Hausarrest. Begründung: „Die Anordnung des Hausarrests ist zulässig, wenn [. . .] der Zweck der Anhaltung auch durch diese Art des Vollzugs [ . .] erreicht werden kann."

Grundvoraussetzung seien „geordnete Lebensverhältnisse". Tatsächlich: Der Mann arbeitet nun - mit Fußfessel - als Angestellter im Verkaufsbereich.
Da aber die zuständige Staatsanwältin in Wiener Neustadt massive Einwände gegen die Zugeständnisse des Gerichts hatte, brachte sie eine geharnischte Beschwerde beim OLG Wien ein. Und wies auch auf die Schwachstelle einer Fußfessel hin. Bei einer „gewaltsamen Entfernung" derselben könne „zwar festgestellt werden, dass der Angeklagte gegen die Vereinbarung verstoßen hat, seine umgehende Ergreifung und Verhinderung seiner Flucht ins Ausland wäre dadurch jedoch keinesfalls gesichert". Dazu sei angemerkt, dass der Wiener tatsächlich gute Kontakte ins Ausland hat.

Rechtlich argumentierte die Staatsanwältin sinngemäß mit jener Bestimmung der Strafvollzugsgesetzes, wonach Hausarrest nur möglich sei, wenn die noch zu verbüßende Strafzeit zwölf Monate nicht übersteigt. Kurzum: Ein Straftäter, der mehr als (noch) ein Jahr einsitzen muss, kann sowieso keine Fußfessel bekommen. Ein Straftäter, wohlgemerkt. Der betroffene Wiener ist aber U-Häftling. Und genau deshalb blitzte die Staatsanwältin vor dem OLG (Senatsvorsitzende: Petra Staribacher) ab.

Das OLG stärkte der Unterinstanz den Rücken. Ja, es liege Fluchtgefahr vor. Ja, der Mann habe Auflagen gebrochen. Doch er verfüge nicht über seine Reisedokumente, „weshalb die grundsätzlich mögliche Flucht ins nicht europäische Ausland derzeit durch den Vollzug in Form der Fußfessel ausreichend hintangehalten werden kann". Sogar einen Großteil der Kaution gab das OLG frei.

Aussagekräftige Zahlen

Der Anwalt des Mannes, Michael Dohr: „Endlich wurde letztinstanzlich festgestellt, dass eine Fußfessel bei U-Haft auch dann möglich ist, wenn jemand erstinstanzlich zu einer mehrjährigen unbedingten Haft verurteilt wurde." Und: „Somit wurde die Möglichkeit geschaffen, dass mehr Häftlinge ihre U-Haft im Hausarrest verbringen."

Die Zahlen sprechen für sich. Derzeit tragen bundesweit 239 Personen eine Fußfessel (Stand: 15. Jänner). Davon tragen nur sehr wenige die „Fessel" während ihrer U-Haft, nämlich exakt drei.

AUF EINEN BLICK

Wegen Wirtschaftsdelikten wurde er erstinstanzlich zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt – Staatsanwaltschaft, ein Landesgericht und ein Oberlandesgericht gehen von Fluchtgefahr aus, und trotzdem darf der 38-jährige Wiener eine Fußfessel tragen. Da die Strafe nicht rechtskräftig ist, handelt es sich um einen U-Häftling. Motto: Hausarrest statt U-Haft hinter Gittern. Wie diese Entscheidung die Fußfesselpraxis beeinflusst, bleibt abzuwarten.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.