Angeblich 12-Jähriger in U-Haft: Jugendamt nicht informiert

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Bub, dessen Alter nicht feststeht, und dem Diebstähle vorgeworfen werden, ist abgängig. Am Freitag steht die Verhandlung seiner Kollegin, eines angeblich auch unmündigen Mädchens bevor.

Der Fall um den angeblich erst zwöfljährigen Taschendieb, der 16 Tage in Wien in U-Haft gesessen ist, beschäftigt weiter die Behörden.

Das Jugendamt war über den Prozess gegen den Jugendlichen, der vergangenen Freitag im Wiener Straflandesgericht nach 16 Tagen im Gefängnis wegen Zweifels an seinem Alter (und damit an seiner Strafmündigkeit) freigesprochen wurde, nicht informiert. "Wir haben von der Verhandlung nichts gewusst und keine Ladung bekommen", sagte Jugendamtssprecherin Herta Staffa der APA. Dabei "braucht es bei einem Prozess gegen einen Minderjährigen, egal ob er zwölf, 14 oder 16 Jahre alt ist, einen gesetzlichen Vertreter", erklärt Staffa weiter. Wenn die Eltern, wie im Fall des Buben, nicht greifbar sind, "dann sind wir zu verständigen", sagte die Sprecherin. Dem jungen Mann wird vorgeworfen, seit vergangenem November in Wien gewerbsmäßig und als Teil einer intnationalen Bande etwa 25 Personen - vorwiegend Touristen - bestohlen haben soll. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Bub Mitglied eines rund 70 Mitglieder umfassenden Bandennetzwerks ist.

Verteidiger als gesetzlicher Vertreter

Richter Andreas Hautz hatte das Jugendamt jedenfalls nicht zur Verhandlung geladen, weil der Bub auf der Straße lebte und über keine Meldeanschrift verfügte. Er hielt sich nur an einzelnen Tagen und auch da immer nur stundenweise bei der "Drehscheibe" - einer sozialen Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - auf. Zum gesetzlichen Vertreter hatte der Richter den Verteidiger des Burschen bestimmt. Das ist in Fällen üblich, in denen der Aufenthaltsort der Eltern von jugendlichen Angeklagten nicht bekannt ist oder es keinen Kontakt zwischen Eltern und Kindern gibt.

Beim Alter gelogen?

Der Junge, der aus einer bosnischen Roma-Familie stammen soll, war am 22. Jänner festgenommen worden. Während der Bursch sein Geburtsdatum mit 31. März 2001 angab (zwölf Jahre alt), hielt ihn ein Amtsarzt bei einer routinemäßig durchgeführten Untersuchung aber für jedenfalls 14-, wahrscheinlich sogar 16- bis 18-jährig. Anders formuliert: Der Bursche soll bei seinem Alter gelogen haben. Daran glaubt auch die Staatsanwaltschaft: Seine Fingerabdrücke seien in Zusammenhang mit zwei Fällen in Belgien gesammelt worden: „Damals hat er sein Geburtsjahr mit 1999 angegeben", so Staatsanwaltssprecher Gerhard Jarosch.

Nächster Prozess: Mädchen vor Gericht

Und der Junge ist kein Einzelfall.  Am kommenden Freitag muss sich im Straflandesgericht Wien ein Mädchen verantworten, das derselben "Kinderbande" angehören soll, wie der angeblich zwölfjährige Bursch.
Die beiden waren gemeinsam am 22. Jänner festgenommen worden. Auch bei ihrem Alter gibt es Zweifel. Als die kindlich wirkenden Verdächtigen in die Justizanstalt (JA) Wien-Josefstadt eingeliefert wurden, hätten der Tageskommandant sowie die Leiterin der Jugendabteilung in der JA unverzüglich bei Gericht Alarm geschlagen, berichtete die APA. Auch die Justizwache hatte Zweifel an der Strafmündigkeit der mutmaßlichen Diebe gehabt.

Amtsarzt stufte beide Jugendliche älter ein

Da der Amtsarzt die beiden aber nach einer Untersuchung jedenfalls über 14 einstufte, wurde die U-Haft verhängt. Die Betroffenen versicherten weiterhin, minderjährig zu sein. Im Fall des Mädchens war für die U-Haft auch ausschlaggebend, dass sie am Rand ihrer Einvernahme bei der Polizei zugegeben haben soll, in Wahrheit 16 zu sein.

Die Beamten hatten, als das Mädchen sich eine Zigarette anzünden wollte, ihr im Hinblick auf die von ihr behauptete Minderjährigkeit das Rauchen untersagt. Daraufhin gab das Mädchen - angeblich in "pampigem" Tonfall - an, sie sei eh schon 16.

Alter schwer zweifeslfrei festzustellen

Zumindest auf Fotos soll das Mädchen noch jünger ausschauen als der nur 1,55 Meter große, schmächtige und äußert kindlich wirkende Bursch. Die Richterin, die am Freitag gegen das Mädchen wegen gewerbsmäßigen Diebstahls als Mitglied einer kriminellen Vereinigung verhandeln wird, hat ein zahnärztliches Gutachten zur Klärung der Altersfrage in Auftrag gegeben.

So ein Gutachten hat allerdings schon beim Verfahren des Jungen keine Klärung gebracht. „Es spricht alles dafür, dass er um die 14 Jahre alt ist. Eine eindeutige Festlegung, ob er über oder unter 14 ist, kann nicht getroffen werden." Bei der Einschätzung des wahren Alters gebe es „eine relativ große Bandbreite von plus minus einem Jahr", sagte die Gutachterin damals vor Gericht aus. Der Richter sah dadurch im Zweifel die Strafunmündigkeit gegeben und sprach den Jungen frei.

"Opfer von Menschenhandel"

Der junge Mann ist mittlerweile abgängig. Er war am Freitag nach dem Gerichtsurteil noch von der Polizei zu weiteren Diebstählen (und einem anderen Ermittlungsverfahren) befragt und dann in die "Drehscheibe" - eine Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge - gebracht worden. Dort blieb er allerdings nicht lange. „Er war nur vier Minuten bei uns, hat uns den Stinkefinger gezeigt und ist abgehauen", sagte Drehscheiben-Leiter Norbert Ceipek am Freitag zur "Presse".

Für ihn ist der Bub kein Unbekannter. Schon mehrmals sei er von der Polizei zu ihm gebracht worden. Er kennt ihn unter anderem Namen und unter anderem Alter: Geburtsjahr 1999 (also strafmündig). Ceipek: „Der Junge ist sicher ein Opfer von Menschenhandel, und zu den Verbrechen wurde er gezwungen. Ich wünsche ihm kein Gefängnis. Aber wenn niemand die Hintergründe aufklärt, dann muss er weitermachen."

(APA/Red. )

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