So funktioniert die Zwei-Klassen-Medizin

APA
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Eine ehemalige Krankenhaus-Angestellte erhebt massive Korruptionsvorwürfe gegen Ärzte. Experten kritisieren das System, Ärzte die Kritiker.

Wien. Was (Gesundheits-)Politiker bestreiten, ist offenbar längst Realität: Die Patienten in den heimischen Spitälern sind in zwei Klassen unterteilt. Jene, die im Rahmen der gesetzlichen Pflichtversicherung auf Gleichbehandlung bei der Vergabe von Operationsterminen vertrauen, und jene, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und auf Kosten Erstgenannter mit privaten Zusatzversicherungen oder Geld in Kuverts die Warteliste umgehen.

Und wenn die (Gesundheits-)Politik auch dieses Mal die Existenz der Zwei-Klassen-Medizin abstreitet: Die Indizien für Korruption im Gesundheitswesen verdichten sich. Im ORF-Radio Ö1 berichtete die ehemalige Angestellte eines Wiener Ordensspitals davon, dass sie jahrelang Sonderklasse-Patienten in der Warteliste für Operationen vorreihen musste.

Einen anderen Bericht konnte „Die Presse“ am Mittwoch dokumentieren. Die Mutter eines Teenagers, der im Rollstuhl sitzt, berichtet: „Ich habe einen schwerst behinderten Sohn. Nach einer Operation hat mir der Chirurg in der Ambulanz des Spitals angeboten, zur weiteren Behandlung des Buben in seine Privatordination zu kommen. Als sich herausstellte, dass dies nicht möglich war, bot er mir an, während seiner Dienstzeiten ins Spital zu kommen: Trotzdem wollte er mir eine Honorarnote stellen, dafür wären wir gleich dran gekommen. Ich habe darauf nicht reagiert, komme seither alle paar Monate zu Nachuntersuchungen in die Ambulanz und warte stundenlang, auch wenn das für meinen Sohn sehr belastend ist. Ich kann mir keine Konfrontation leisten, wir sind von dem Arzt abhängig. Er ist einer der wenigen Spezialisten auf seinem Gebiet.“

Gerald Bachinger, Sprecher der Patienten- und Pflegeanwälte Österreichs, kritisiert das „Ausnützen dieses Abhängigkeitsverhältnisses“. Ihm sei der Fall eines Patienten zu Ohren gekommen, der aus geschäftlichen Gründen für einen Operationstermin nur ein kleines Zeitfenster hatte. „,Kein Problem‘, hat ihm der Arzt in der Privatordination versprochen“, so Bachinger. „Und der Patient hat dem Arzt, nachdem alles geklappt hatte, 1000 Euro geschenkt.“ Beweise gibt es dafür nicht, klagen wolle der Patient ebenfalls nicht, „denn er ist ja zufrieden“. Für Bachinger ist eine derartige Vorgangsweise allerdings „völlig inakzeptabel“.

Forderung nach Kontrollbehörde

Der undurchdringliche Filz aus Privatleistungen, die von in öffentlichen Spitälern angestellten Ärzten erbracht werden, ist es, der laut Experten das System anfällig für Ungereimtheiten macht. Theoretisch berechtigt eine Sonderklasse-Versicherung (siehe Kasten) nämlich nicht dazu, gegenüber pflichtversicherten Patienten bevorzugt zu werden. Der Anspruch, der aus der Zusatzversicherung entsteht, betrifft lediglich eine bessere Unterbringung (Ein- oder Zwei- anstatt Mehrbettzimmer) und die Freiheit zur Wahl des behandelnden Arztes. Allerdings: „Wenn sich dadurch die Gelegenheit ergibt, anstatt 5000 vielleicht 50.000 Euro zu verdienen, werden sie wohl viele Ärzte wahrnehmen“, glaubt der System-Kenner und ehemalige Wiener Pflege-Ombudsmann Werner Vogt. „Das vermeintliche Recht, bevorzugt behandelt zu werden, entsteht durch die Ökonomie der Privatmedizin in öffentlichen Spitälern.“

Die Voraussetzungen dafür, dass bestimmte Patienten bevorzugt werden, schafft das System selbst. Tatsächlich existieren die viel zitieren Wartelisten für Operationen nämlich nicht. Zumindest nicht in Form eines zentral und allgemein zugänglichen Dokuments, das die Vor- oder Zurückreihung von Patienten (Notfälle sind davon ausgenommen) dokumentiert und damit nachvollziehbar machte. Die gängige Praxis der Terminvergabe geschieht also in einer Grauzone, in der niemand – außer dem Arzt selbst – weiß, warum der eine früher auf dem Operationstisch landet als der andere. Was also tun?

„Oberstes Ziel muss eine unabhängige Aufsichtsbehörde für den Gesundheitssektor sein“, sagt Andrea Fried, Leiterin der Arbeitsgruppe Gesundheitswesen der Anti-Korruptions-Gesellschaft Transparency International (TI). Die Rechnungshöfe seien dafür nämlich nicht zuständig, die Patientenanwälte schlichtweg überfordert. Außerdem sei es notwendig, Wartelisten für Operationen transparent zu machen. Nur so müsse nämlich auch jede Vorreihung begründet werden.

Wege, etwa bei besonders gefragten Gelenks- oder Augenoperationen, nach vorne gereiht zu werden, gibt es viele. TI hat Fälle dokumentiert, in denen Patienten entweder in die Privatordination des Primars auswichen, ihre Beziehungen nutzten, oder gar das viel zitierte Geldkuvert in der Ordination „vergaßen“.

Die Wiener Gemeinderatsabgeordnete Sigrid Pilz (Grüne) will einen besonderen Fall aus dem SMZ-Ost kennen: Eine kranke und als „austherapiert“ geltende Frau hätte das Spital bis zum Freiwerden eines Pflegeplatzes verlassen sollen. Gegen Schmiergeld in Höhe von 900 Euro soll sich der zuständige Arzt gegenüber der Familie aber dazu bereit erklärt haben, dafür zu sorgen, dass die Dame bis dahin im Krankenhaus bleiben kann: auf Kosten aller Beitragszahler.

Zwei-Klassen-Medizin „offiziell“

Scharfe Kritik an den Anschuldigungen kommt aus der Ärztekammer. Vizepräsident Harald Mayer bezeichnete die anonymen Anschuldigungen als Teil einer „pauschalen Diffamierungskampagne“. Er forderte Betroffene dazu auf, sich an den Ehrensenat der Kammer zu wenden, der die Vorwürfe prüfen und im schlimmsten Fall die beschuldigten Ärzte mit Berufsverbot belegen werde. Kammerdirektor Karl-Heinz Kux betonte, dass sich Korruptionsvorwürfe in den vergangenen Jahren „kein einziges Mal“ erhärtet hätten.

Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky griff alle Kritiker frontal an. „Der Vorwurf einer Zwei-Klassen-Medizin ist völlig aus der Luft gegriffen und dient lediglich der Verunsicherung der Patienten.“

Kammerdirektor Kux sieht das im Ö1-Interview anders: „Die Zwei-Klassen-Medizin gibt es allein deshalb schon ganz offiziell, weil es in Österreich das System der Sonderklasse gibt und ein Viertel aller Spitalsbetten dafür zur Verfügung steht.“

LEXIKON

Sonderklasse-Patienten haben neben der Pflichtversicherung eine private Zusatzversicherung. In Österreich sind das etwa eine Million. Die Versicherung berechtigt nicht zur Bevorzugung bei Operationen (das ist per Gesetz ausgeschlossen), gewährt Annehmlichkeiten wie freie Arztwahl oder Unterbringung in Ein-/Zwei-Bett-Zimmern. Die Erlöse der Sonderklasse-Honorare gehen zu 60 Prozent an den Primararzt, den Rest teilen sich die übrigen Stationsmitarbeiter. [Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2007)

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