„Ich habe seit Tagen nicht geduscht“

APA
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In Innsbruck kämpft die Polizei gegen Drogendealer. Gemeinsam mit einem Szene-Kenner.

INNSBRUCK. „Ich verkaufe Drogen. Aber ich hasse es. Doch ich habe keine Wahl.“ Er brauche das Geld, sagt der junge Mann, der sich Said nennt, und zuckt resignierend mit den Schultern. Die 40 Euro Taschengeld pro Monat, die Asylwerbern in einem laufenden Verfahren zustehen, bekommt er nicht. Denn er hält sich nicht an die Regeln.

Said ist Mitte zwanzig und stammt, wie er sagt, aus Marokko. Er wuchs als Straßenkind auf und hat sein Heimatland als Teenager verlassen. Vom „goldenen Europa“ versprach er sich ein besseres Leben. Heute lebt er als „Illegalisierter“, also ohne gültige Papiere und Aufenthaltsrecht in Innsbruck. Er gehört zur „Marokkanerszene“, die seit vier Jahren den Suchtgifthandel in Innsbruck kontrolliert.

Die jungen Männer gelten in der Stadt als Sicherheitsproblem Nummer eins. Sie sind meist 15 bis 25 Jahre alt und leben im Untergrund. Sie schlafen in Abbruchhäusern oder Eisenbahnwaggons. Viele von ihnen tragen alles was sie besitzen am Körper. So auch Said, der in einem zerschlissenen Rucksack Decken und Pullover hat. Er müsse sich schließlich für kalte Winternächte rüsten. „Ich habe seit Tagen nicht geduscht“, sagt er und fährt sich durch das fettige Haar. Dann wird sein Blick ernst: „Weißt du, das macht mich krank und wütend.“

Die Polizei geht davon aus, dass die Nordafrikanerszene von langer Hand organisiert ist und ihre Basis im oberitalienischen Raum hat. In Großstädten wie Bologna und Mailand. Von dort, erklärt der Innsbrucker Polizeidirektor Thomas Angermair im Gespräch mit der „Presse“, komme das Suchtgift und dorthin fließe das Geld aus dem Drogenhandel. Der Weg der jungen Männer sei immer derselbe: „Sie reisen illegal aus Italien ein, stellen einen Asylantrag und geben falsche Daten zu ihrer Identität an. Das ist klarer Asylmissbrauch. Denn wenn es um Schutz vor Verfolgung in den Heimatländern ginge, könnten sie auch in Italien bleiben und müssten nicht weiter nach Österreich.“

Abschiebung faktisch unmöglich

Die Szene werde nicht von einem einzigen Chef organisiert. Vielmehr handle es sich um mehrere Gruppen, die auch rivalisieren. Die jungen Männer selbst wollen zu ihren Hintermännern nichts sagen. Das sei gefährlich. „Denen passiert sowieso nichts“, sind sie überzeugt.

Auch die Polizei resigniert: „Wir stoßen an unsere Grenzen“, meint Angermair: „Wir haben zwar eine rechtliche Ausweisungsmöglichkeit, aber keine faktische.“ Denn solange die Identität der jungen Männer nicht geklärt ist, können sie nicht abgeschoben werden, selbst wenn sie straffällig wurden und kein Aufenthaltsrecht besitzen.

Seit dem Frühjahr 2007 befassen sich 15 Beamte in einer Sonderermittlungsgruppe mit der nordafrikanischen Dealerszene und arbeiten mit Interpol zusammen. Rund 90 Prozent der Männer, schätzt die Polizei, stammen aus Marokko. Doch meist scheitert eine Rückführung an der mangelnden Kooperationsbereitschaft der marokkanischen Behörden, die keine Heimreisezertifikate ausstellen. „Wir sind in diesem Fall mit dem Problem der Ausweislosen, den ,sans papiers‘ (franz. für ohne Papiere) konfrontiert. Ein Problem, das europaweit existiert“, so Angermair.

Etwa 40 Personen aus der Szene sitzen derzeit in U-Haft oder Strafhaft. Wie viele sich momentan auf Innsbrucks Straßen als Kleinkriminelle durchschlagen, weiß niemand. „Wir gehen von rund 30 Personen aus. Vielleicht auch mehr“, sagt dazu Christof Gstrein von der Jugendwohlfahrt des Landes Tirol.

In seinen Aufgabenbereich fällt die Betreuung jugendlicher, unbegleiteter Asylwerber. Im Sommer wurde von Gstreins Vorgesetztem, dem stellvertretenden Landeshauptmann Hannes Gschwentner, ein „runder Tisch“ zum Thema „Marokkanerszene“ einberufen. Vertreter der Polizei, der Grundversorgungsstelle für Asylwerber und Politiker berieten über neue Ansätze im Kampf gegen die organisierte Drogenkriminalität. „Was würde man mit einem Österreicher in ähnlicher Problemlage tun?“ lautete einer dieser Ansätze. Man verständigte sich, einen arabischsprachigen Streetworker anzustellen. Man wollte Zugang zur Szene. „Jemanden, der mit den Jugendlichen in ihrer Sprache über ihre Situation spricht“, erklärt Gstrein das Projekt, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit startete.

Ein Senegalese als Vermittler

Die Wahl fiel auf den 35-jährigen Senegalesen Mor Dieye, der seit drei Jahren in Österreich lebt. Er ist kein ausgebildeter Sozialarbeiter, doch er spricht fließend Arabisch, Französisch und Deutsch. Seit August ist Dieye im Dienst. Der Anfang war nicht einfach: „Ich musste ihr Vertrauen gewinnen, denn sie dachten ich sei ein Spion, der sie aushorchen will.“ Mittlerweile hat der Streetworker ein wöchentliches Treffen unter dem Motto „marokkanisches Teehaus“ etabliert.

Bei Tee und Kuchen erzählen ihm die jungen Männer von ihrem Alltag auf der Straße. Die Ersten haben sein Hilfsangebot bereits angenommen und wollen aussteigen. So fand etwa ein Jugendlicher im Rahmen der „gemeinnützigen Beschäftigung für Asylwerber“ Arbeit als Straßenkehrer bei der Stadt Innsbruck. Er verdient nur drei Euro pro Stunde, doch er ist zufrieden: „Es ist ein Job und ich bin versichert.“ Viele können aber wegen ihrer kriminellen Vergangenheit nicht mehr auf eine Legalisierung ihres Aufenthaltsstatus hoffen. Eine Rückkehr nach Marokko ist meist ebenso unmöglich – selbst wenn, wie bereits geschehen, die jungen Männer zurückkehren wollten. Man will sie dort nicht. Was bleibt, ist ein Leben ohne Perspektive.

AUF EINEN BLICK

Marokkaner, die nach Europa geflüchtet sind und nichts mehr zu verlieren haben, werden von Drogenbossen in Innsbruck als Dealer eingesetzt. Die Polizei steht vor immer größeren Problemen. Mit einem Arabisch sprechenden Senegalesen als Vermittler will die Stadt die jungen Männer motivieren, aus der Drogenszene auszusteigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2008)

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