Elektrosmog: Eskalation im Streit um Handys

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Erstmals droht ein Mobilfunk-Betreiber einem Arzt mit Klage: eine Studie, die Krebserkrankungen mit Sendeanlagen in Verbindung bringt, sei getürkt.

Wie frei ist die Wissenschaft? Dürfen Forschungsergebnisse, die für Dritte unangenehm sind, nicht mehr veröffentlicht werden? Sind mutmaßlich falsche Erkenntnisse bei Gericht klagbar? Diese (und noch mehr) Fragen stellen sich derzeit die beteiligten eines Streits, der in derartiger Form in Österreich (und nach jetzigem Erkenntnisstand auch im Ausland) in dieser Intensität noch nicht stattgefunden hat.

Erstmals nämlich droht die Mobilfunkindustrie einem vor elektromagnetischer Strahlung warnenden Arzt offen mit rechtlichen Schritten. Gerd Oberfeld, Referent für Umweltmedizin der Österreichischen Ärztekammer und langjähriger Mobilfunk-Warner, will in einer aktuellen Studie einen direkten Zusammenhang zwischen einer Mobilfunk-Sendeanlage (C-Netz-Autotelefon) und der Häufung von Krebserkrankungen im unmittelbaren Umfeld des Sendemastes festgestellt haben. Einzig: laut Mobilkom Austria soll im untersuchten Zeitraum 1984 bis 1997 an besagtem Ort (Hausmannstätten im Südosten von Graz) gar keine Sendeanlage existiert haben.

„Gekaufte“ Studien?

Deshalb stellte die Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Post- und Telegrafenverwaltung, die seinerzeit das inzwischen eingestellte C-Netz betrieben hat, dem streitbaren Mediziner per anwaltlichem Schreiben ein Ultimatum. Darin wird Oberfeld aufgefordert, die im Auftrag der steirischen Landessanitätsdirektion erstellte Studie bis heute, 10. März, öffentlich zu widerrufen. „Widrigenfalls wäre meine Mandantin (allenfalls auch gemeinsam mit den anderen österreichischen Mobilfunkbetreibern) zu ihrem Bedauern genötigt, ihr zur Verfügung stehende rechtliche Mittel [..] in Anspruch zu nehmen [..], und müsste daneben natürlich auch die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen vorbehalten bleiben“, heißt es im Schreiben vom Mobilkom-Anwalt Wolfgang Richter, das der „Presse“ vorliegt.

Auf der Strecke bleiben verunsicherte Konsumenten, die sich in der mit immer härteren Bandagen geführten Auseinandersetzung zwischen warnenden Ärzten und beschwichtigender Industrie auf vermeintlich nichts mehr verlassen können. Praktisch jede Studie, die Mobilfunk in den Zusammenhang mit Krebserkrankungen stellt, wird mit einer Gegenstudie beantwortet – und umgekehrt. So beruft sich etwa die gesamte Branche stets auf die von der Weltgesundheitsorganisation WHO festgelegten (und natürlich eingehaltenen) Strahlungsgrenzwerte, innerhalb derer kein Gesundheitsrisiko zu befürchten sei. Umgekehrt lancierten die Mobilfunkgegner vergangenen Herbst ein ganzes Konvolut an Studien, wonach eben diese Grenzwerte erstens nicht mehr zeitgemäß und zweitens viel zu hoch angesetzt seien.

Gesichert scheint nur, dass Forschungsprojekte auffällig oft jene Ergebnisse bringen, die vom Auftraggeber erwünscht sind. Martin Röösli von der Universität Bern fand heraus, dass „nur“ 33 Prozent der von der Industrie geförderten Untersuchungen signifikante Effekte von Mobilfunk auf die Gesundheit feststellen. Zum Vergleich: Bei öffentlich oder gemeinnützig finanzierten Studien sind es 82 Prozent.

Ärztliche Panikmache?

In Österreich hängt der Haussegen zwischen Ärzten und Mobilfunkern seit Jahren schief. Größter Reibebaum für die Industrie ist die Ärztekammer, allen voran die Wiener Landesgruppe, die seit einiger Zeit bereits in einer offensiven Medienkampagne vor dem Gebrauch von Handys warnt. Ein entsprechendes Plakat wurde sogar von Anwälten auf Klagbarkeit geprüft – ohne Ergebnis.

Die „Branche“ hält sich seit zwölf Jahren sogar eine eigene, schnelle Eingreiftruppe, die bei ärztlicher Kritik mit Aussendungen und Pressekonferenzen gegensteuert. Der Name des gemeinschaftlich finanzierten Vereins: Forum Mobilkommunikation (FMK).

Dessen Geschäftsführer Michael Maier ist es auch, der der Kammer „selektives Vorgehen“ vorwirft und Oberfelds Studie als „massive Bedrohung“ für eine milliardenschwere Industrie bezeichnet. „Leider publizieren Medien nämlich immer nur Studien, die vor den angeblichen Gefahren des Mobilfunks warnen“. Das FMK verstehe sich bewusst als „Gegenpol“ und beziehe sich seinerseits deshalb ebenfalls nur auf Studien, die das Gegenteil beweisen würden. Maier: „Was die Ärzteschaft betreibt, ist Panikmache.“

Seltsame Geschäfte

Gerd Oberfeld, der selbst kein Handy besitzt und dieser Tage im Zentrum der Kritik steht, weist im „Presse“-Gespräch alle Vorwürfe zurück. Wie die Mobilkom behauptet auch er stichhaltige Beweise in der Hand zu haben (siehe Kasten), nur eben mit dem Unterschied, dass seine für eine Existenz einer Mobilfunk-Sendeanlage in Hausmannstätten sprechen. „Deshalb werde ich die Studie auch nicht öffentlich widerrufen.“

Unabhängig davon, welche der beiden Streitparteien nun Recht hat: das Spiel mit der Angst der Konsumenten vor dem Mobilfunk zeigt inzwischen reale Auswirkungen – wirtschaftlich und gesundheitlich. So verkauft der französische Kosmetikhersteller „Clarins“ in Österreich seit dem Vorjahr den Gesichtsspray „Expertise 3P“, der vor Handy-Strahlung schützen soll. Kosten: 38 Euro pro 100ml.

Umgekehrt hatten in einer Testreihe Wissenschaftler des Forschungszentrums für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit (FEMU) in Aachen Hausbewohnern einen Mobilfunk-Sender auf das Dach gebaut. Unmittelbar danach klagten zahlreiche Probanden über Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Was sie nicht wussten: Die Anlage war nicht in Betrieb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2008)

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