Psychoanalyse in Wien: Berggasse 19, Salzgries 16: Alles Freud!

(c) Ap (SIGMUND FREUD MUSEUM)
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100 Jahre nach Gründung der Psychoanalytischen Vereinigung, 70 Jahre nach der Vertreibung aus Wien: Das Psychoanalytische Zentrum wurde eröffnet.

WIEN.Keine Couch mit orientalischem Muster: In fünf Behandlungsräumen stehen schlichte Liegen, im Vortragssaal die ebenso schlichten Sessel bereit. Das neue Psychoanalytische Zentrum am Wiener Salzgries 16 wurde am Montag feierlich eröffnet. Wobei die Jahreszahl der Eröffnung doppelt historisch ist: 1908 wurde die Wiener Psychoanalytische Vereinigung gegründet; 1938 wurde die Psychoanalyse vom NS-Terror aus Österreich vertrieben.

Von einem „ungeheuren intellektuellen Aderlass“ sprach Bürgermeister Michael Häupl: Es sei ein ehrgeiziges Ziel seiner Stadtregierung, das einstige intellektuelle Leben Wiens wiederherzustellen, im Bereich der „Life Sciences“ sei dies bereits gelungen, nun dürfe man auch „auf Freud, Schumpeter oder Kelsen nicht vergessen“.

Die „Wiedereinrichtung der Psychoanalyse in Wien“ pries Martin Engelberg von der Psychoanalytischen Akademie: Diese wird von zwei Organisationen geführt, die sich das Zentrum teilen, der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung (WPV) und dem (1947 gegründeten) Wiener Arbeitskreis für Psychoanalyse (WAP). Dass die zwei nach jahrelangem Zank zusammengefunden haben, ist in der an Spaltungen reichen Geschichte der Psychoanalyse eine Seltenheit.

Nicht dabei ist die mit dem WAP zerstrittene „Sigmund-Freud-Privatuniversität“, ihr Gründer Alfred Pritz kam nicht einmal zur Eröffnung. Sehr wohl kam Inge Scholz-Strasser, Vorsitzende der Freud-Privatstiftung, die das Museum im Freud-Haus in der Berggasse 19 betreibt: Zumindest zwischen Museum und WPV scheint endlich friedliche, vielleicht gar freundliche Koexistenz zu herrschen.

Friedlich und freundlich wirken die Räume im Gründerzeithaus am Salzgries: Die Kästen sind weiß wie die Wände, an diesen hängen u.a. Skizzen des unorthodoxen französischen Analytikers Jacques Lacan, den WAP-Leiter August Ruhs sehr schätzt, einst zum Missfallen des WPV. In einem Behandlungszimmer können Therapeut und/oder Patient eine ägyptische Szene ansehen, ohne Sphinx, aber immerhin mit Hieroglyphen und Riss. Am Gang blinkt ein von Peter Kogler konstruiertes Hirn.

Zentral im Veranstaltungsprogramm (Info: www.psychoanalyse-wien.at) sind die traditionsreichen Freud-Vorlesungen: Am 10.4. spricht Bettina Reiter unter dem Titel „Alles Freud“, am 16. und 17.5. wird über Lacan debattiert, am 28.5. behandelt Diane O'Donoghue die „topografischen Konstruktionen“ Freuds. An die Gründung der WPV gedenkt man bei einer Festsitzung am 15.4., die ersten hundert Jahre schildert ein von Andrea Bronner bei Brandstätter herausgegebenes Buch.

„Finis Austriae.“ So lakonisch reagierte Freud auf die Nachricht von der Abdankung Schuschniggs, am 11.März 1938, zweieinhalb Monate, bevor er todkrank die feindlich gewordene Heimat verließ. 70 Jahre später hat sie für seine Lehre mehr Raum denn je.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.03.2008)

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