Polizei-Überwachung: Tausende Fälle

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Polizei nutzt ihre neuen Überwachungs-Befugnisse rege aus. In nur fünf Wochen wurden die Standorte von 82 Handy-Nutzern lokalisiert und 2.766 Anschluss-Inhaber ausgeforscht. Brisant: Namen zu bestimmten IP-Adressen geben Internet-Provider schon seit Jahren weiter.

Wien. Österreichs Polizei macht von ihren zu Jahresbeginn ausgeweiteten Überwachungsbefugnissen offenbar regen Gebrauch. Das zeigt eine interne Statistik des Innenministeriums, die der „Presse“ zugespielt wurde.

Mit Jahresbeginn wurde das Sicherheitspolizeigesetz (SPG) dahingehend novelliert, dass die Exekutive zur Abwehr schwerer Straftaten und bei Gefährdung von Menschenleben bei Telekom-Dienstleistern (darunter fallen Festnetz-, Mobilfunk-, Internet- und E-Commerce-Anbieter) Name, Adresse – und bei Handy-Nutzern auch den aktuellen Aufenthaltsort – eines Verdächtigen erfragen können. Die folgenden Zahlen beziehen sich auf die ersten fünf Kalenderwochen des Jahres 2008.


•Von 1. Jänner bis 4. Februar wurden Namen und Adressen von 2766 Inhabern von Telekom- und Internet-Anschlüssen ausgeforscht.


•In 22 Fällen verlangten die Sicherheitsbehörden Auskunft darüber, welche Internet-Kennnummer (IP-Adresse) und welche Identität sich hinter einer bestimmten E-Mail verbargen.


•540 Mal wurden Internet-Nutzer auf Grund der Annahme einer konkreten Gefahrensituation (Hilfeleistungspflicht oder Verdacht auf eine bevorstehende, schwere Straftat) ausgeforscht.


•Von 82 Handy-Nutzern – also im Schnitt 2,3 täglich – erfragten die Behörden bei den Betreibern den momentanen (oder zuletzt registrierten) Aufenthaltsort.


•Bei 29 davon geschah dies auf Grund der Annahme von Selbstmordgefährdung.


•Gemäß der vom Innenministerium stets strapazierten Begründung, mittels Handy-Ortung vorwiegend verirrte und verletzte Bergwanderer oder verschüttete Lawinenopfer finden zu wollen, wurde während des fünfwöchigen Untersuchungszeitraums kein einziger Fall registriert.

Aussagekräftige Vergleichszahlen zur Zeit vor dem neuen Sicherheitspolizeigesetz gibt es nicht, da die Polizei in dieser Form erst seit Jahresbeginn über entsprechende Befugnisse verfügt.

Allerdings war am Dienstag in der Rechts-Sektion des Innenministeriums zu erfahren, dass die Exekutive schon seit Jahren bei Internet-Providern nach den Namen fragt, die hinter bestimmten IP-Adressen stecken – und diese in aller Regel auch bekommt. Brisant daran ist, dass diese Anfragen nach Auffassung der Datenschutzkommission (DSK) vor Inkrafttreten des SPG neu rechtlich nicht gedeckt waren.

Interne Gerüchte über Missbrauch

Interessant an der Statistik des Innenministeriums ist auch, dass sich der zuständige Rechtsschutzbeauftragte, der von der Politik stets als Wächter über die Zulässigkeit derartiger Polizeianfragen dargestellt wurde, nicht an eine solche Fülle von Fällen erinnern kann. „Diese Zahlen übersteigen jene, die mir vorliegen, deutlich“, sagt Theodor Thanner, der über alle Überwachungsanfragen der Polizei gemäß SPG zu informieren wäre. Nachsatz: „Es könnte jedoch sein, dass die Statistik auch Überwachungsanfragen beinhaltet, die auf Grund einer richterlichen Anordnung stattfanden.“

Laut „Presse“-Recherchen ist das jedoch unwahrscheinlich. Die vorliegende Statistik beruft sich nämlich ausschließlich auf Fälle gemäß §53 des SPG, richterlich angeordnete Überwachungsmaßnahmen hingegen fallen unter die Strafprozessordnung (StPO).

Die zuletzt von T-Mobile, zwei Internet-Providern und den Grünen eingebrachten Verfassungsbeschwerden gegen das Sicherheitspolizeigesetz – sie alle berufen sich auf das Fernmeldegeheimnis – lassen das Ministerium kalt. Die Rechtsabteilung dort beruft sich ihrerseits auf ein OGH-Urteil, wonach IP-Adressen – ähnlich wie Absender und Empfänger bei Briefen – nicht unter dieses Geheimnis fallen.

Allerdings räumt das Ministerium auch ein, dass Auskunftsansuchen, die Zeitpunkte betreffen, die mehrere Monate in der Vergangenheit liegen „rechtlich fragwürdig“ sein könnten. Telekom-Betreiber hatten der Exekutive vorgeworfen, auf Basis des SPG Überwachungsmaßnahmen der richterlichen Kontrolle zu entziehen.

Ebenfalls Bezug nahm die Rechtsabteilung des Ministeriums auf Gerüchte darüber, dass die Handy-Ortung gemäß SPG zuletzt zur Aufklärung von Handy-Diebstählen unter Jugendlichen verwendet wurde. „Wenn das wirklich so war, war es rechtlich nicht gedeckt“, so eine Juristin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.03.2008)

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