Teures Gold, zu teures Essen

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Lokal-Augenschein. Wie Menschen ihren Schmuck zu Geld machen. Wo Armutsgefährdete billig essen.

434 Euro für ein goldenes Collier

Das Gold ist eh noch im Hoch, oder?“ Die ältere Frau klingt ein bisschen besorgt. In ihrer Hand hält sie eine schwarze Schmuckschatulle, die mit zwei Gummiringerl zusammengehalten wird. Den Inhalt, Uhren, Ringe, Ketten, wird sie einlösen – gegen Bargeld. Man merkt: Es fällt ihr nicht leicht, sich davon zu trennen, „der Ring ist noch von der Großmutter“, erzählt sie ungefragt. Aber dafür ist sie nun einmal hergekommen, in die Filiale der Ögussa, der Österreichischen Gold- und Silber-Scheideanstalt, in der Gumpendorfer Straße.

Denn ja, das Gold ist immer noch im Hoch. In Zeiten steigender Inflation investieren viele in Gold, das als krisensicher gilt. Den ungebrochen hohen Gold- (wie übrigens auch Silber-)Preis nützen immer mehr Menschen, um Schmuck, Münzen oder altes Silberbesteck in einer Ögussa-Filiale (die es in jedem Bundesland außer Vorarlberg und Burgenland gibt) zu bringen. Viele treibt es hierher, weil sie wegen der steigenden (Lebensmittel-)Preise Reserven anzapfen müssen. Viele wittern einfach die Chance, schnell zu Geld zu kommen: Denn der Familienschmuck, die Münzsammlung, ist heute viel mehr wert als noch vor ein paar Jahren.

Seit 2005 hat sich der Goldpreis fast verdoppelt, erzählt Ögussa-Geschäftsführer Marcus Fasching. Derzeit liegt er bei rund 18.597 Euro. Pro Kilo. Meldungen in Medien („Gold erreicht Rekordwert“, „Gold weiter gefragt“), und derer gab es in letzter Zeit viele, bringen die Massen zur Ögussa. Vor allem seit dem vierten Quartal 2007, als der Goldpreis auf ein All-Time-High stieg, „ist die Menge des Goldes, das wir einlösen, explodiert. Wir haben heute um 50 Prozent mehr Kunden“. 150 bis 250 pro Tag sind es allein in die Filiale im 6. Bezirk, in der es aussieht wie in einer nicht mehr rasend modernen Bank-Filiale. Mit Holz verkleidete Schalter, Neonröhren, dazwischen Waagen. Ist viel los, werden Zählkarten ausgegeben.

Wie hoch der Wert des Goldes ist, der täglich da gelassen wird, darüber schweigt Fasching. Wenig dürfte es nicht sein. Ein einzelnes Collier aus der Schatulle der älteren Frau ist 434 Euro wert. „Ein Wahnsinn“, sagt sie verblüfft. „Und wie viel ist das in Schilling?“ Die Summe mag ein wenig darüber hinwegtrösten, dass sie nun auch die Uhren-Sammlung ihres verstorbenen Mannes eintauscht, wie sie Filialleiter Gerhard Forster erzählt. Geschichten wie diese bekommen Forster und die anderen Ögussa-Mitarbeiter öfter zu hören.

Der Wert jedes einzelnen Schmuckstücks wird per Strichprobe ermittelt. Von jeder Münze, jedem Ring wird ein kleiner Strich auf einen schwarzen Schieferstein gerieben. „Das sieht für viele primitiv aus“, sagt Fasching. Tatsächlich ließe sich aber so der Karat-Anteil genau feststellen. Der Strich wird mit einer Mischung aus Salz- und Salzpetersäure („Königswasser“) beträufelt. Löst die Säure den Strich rückstandslos auf, ist das Stück nicht echt. Mit Säuren unterschiedlicher Konzentration wird der Karat-Anteil ermittelt, das Stück gewogen und der Wert berechnet. Ein paar Broschen wird die ältere Frau wieder mitnehmen. „Die sind nichts“.

Zahnkronen werden eingeschmolzen

Als nächstes ist eine junge Frau dran, die stumm ein Taschentuch über den Schalter reicht. Der Inhalt: an die 15 Goldkronen. Samt der Zähne. Dass Diskretion bei der Ögussa hochgehalten wird, zeigt sich auch hier: Woher die Frau so viele Kronen hat, wird nicht gefragt. Generell gilt: Passt das Erscheinungsbild des Kunden nicht zur Menge des mitgebrachten Edelmetalls, wird dieses nicht angenommen. Das komme aber selten vor, so Forster. Jeder Kunde muss über 18 sein und sich ausweisen. „Ich klopf' schnell die Zähne aus“, sagt Forster, setzt sich eine Schutzbrille auf und schlägt mit einem Hammer auf die Zähne. Die Zahnreste fallen ab, übrig bleibt die Krone.

Das Zahngold wird mit den anderen eingelösten Edelmetallen in das Ögussa-Werk in Liesing gebracht, wo das Edelmetall eingeschmolzen wird. Ein komplexer Prozess, der bei Gold und Silber bis zu zwei Wochen dauert. Am Ende hat die Ögussa Edelmetall in „Vier-Neuner-Qualität“ hergestellt – es ist zu 99,99% rein. Aus den Ringen der alten Frau könnten Golddrähte werden, die Tierärzte bei Operationen einsetzen. Aus Platin werden etwa Gehäuse für Herzschrittmacher hergestellt. Auch die Stahlindustrie, die Thermo-Drähte für die Hochtemperaturmessung braucht, wird von der Ögussa beliefert. „Die Kindheit ist jetzt dahin“, sagt die ältere Frau, als sie geht. Das Gold bleibt im Hoch. Immer noch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2008)

AUF EINEN BLICK

Der Goldpreis hat sich seit 2005 fast verdoppelt. Im vierten Quartal 2007 stieg er auf seinen Rekordwert, heute liegt er knapp darunter bei ca. 18.597 Euro pro Kilo. Der Grund: In Zeiten steigender Inflation wird vermehrt in Rohstoffe investiert, Gold gilt als krisensicher. Aufgrund des ungebrochen hohen Goldpreises verkaufen immer mehr Menschen in Österreich Goldschmuck, Münzen oder auch Zahnkronen. Die Ögussa(www.oegussa.at) kauft Edelmetalle an und zahlt bar.



Die steigenden Lebensmittelpreise führen dazu, dass auch in Österreich viele Menschen Armutsgefährdet sind. Suppenküchen vermelden vermehrten Andrang. Weizen hat sich seit 2006 um 208 Prozent verteuert, durchschnittlich stiegen die Lebensmittelpreise um 7,8 Prozent.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2008)

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