Die Lehren aus dem Amoklauf von Annaberg

Evaluierung. Vor acht Monaten tötete Alois H. drei Polizisten, einen Sanitäter und schließlich sich selbst. Nach langem Schweigen reagiert das Innenministerium nun auf Kritik am Einsatz und prüft bessere Schutzausrüstung für die Polizei.

Wien. 248 Tage ist es her, dass Alois H. im niederösterreichischen Annaberg drei Polizisten und einen Sanitäter erschossen hat. Ebenso lange hat die Polizeispitze über die Frage, ob bei dem dramatischen Einsatz Fehler passiert sein könnten, öffentlich geschwiegen. Waren genug Beamte im Einsatz? Die Fahrzeuge ausreichend gepanzert? Hätten Schutzwesten Todesopfer verhindern können? Und warum wurden sie nicht getragen? Innenministerin Johanna Mikl-Leitner wies Kritik am Einsatz und Fragen nach möglichen Fehlern mit dem Hinweis zurück, das sei den getöteten Polizisten und ihren Familien gegenüber respekt- und pietätlos. Trotzdem, immer wieder war hinter vorgehaltener Hand zu hören, bei dem Einsatz sei einiges schiefgelaufen.

H. als Suizid-Verteidiger

Seit gestern, Donnerstag, ist die Analyse des Einsatzes durch eine Kommission aus (auch externen) Fachleuten im Innenministerium abgeschlossen. Das Resultat? Nun, der Einsatz sei „lageangepasst und zielorientiert“ verlaufen, sagt Konrad Kogler, Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit. Er spricht von „einem der dramatischsten Polizeieinsätze“ der Republik.

Analysiert man die Geschehnisse vom jeweils aktuellen Wissensstand der beteiligten Beamten aus, „hatten die Opfer keine Wahl. Jeder hätte genauso gehandelt und hätte nicht anders handeln können“, sagt Claus Polndorfer, der Leiter des psychologischen Dienstes im BMI. Schließlich habe der Täter ab einem gewissen Grad der Eskalation „völlig atypisch“ gehandelt. Polndorfer spricht von einem „verteidigten Suizid“: H. habe vermutlich Monate zuvor geplant, sich im Fall, dass ihm Ermittler auf die Spur kommen, im Waffenbunker seines Anwesens zu erschießen. Der Mann hatte schließlich seit Jahren gewildert, Häuser und Hütten aufgebrochen, Brände gelegt, Autos demoliert – und so bei 108 Straftaten einen Schaden von rund zehn Mio. Euro angerichtet.

Als es zur Konfrontation mit der Polizei kam, habe H. um jeden Preis versucht, zurück in sein Haus in Großpriel zu kommen. „Das erklärt die immense Gewalt“, sagt Polndorfer und spricht von Suizid-Verteidigern als „hochriskanten Tätern“, die unter immensem Stress stehen und deren Verhalten für niemanden vorherzusehen sei.

Um Beamte bei solchen Einsätzen künftig besser zu schützen, will Kogler bald umsetzen, was das Evaluierungsteam nach der Analyse des Amoklaufs empfiehlt: Geplant sind „Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung“, damit Beamte ihre Schutzwesten bei Gefahr tragen. Und Kogler will prüfen, ob es sinnvoll ist, das Tragen der Westen bei Gefahr vorzuschreiben. Zuletzt hieß es in Medienberichten unter Berufung auf das Gutachten des Schießsachverständigen Armin Zotter zum Amoklauf, ein Cobra-Beamter hätte mit einer stichfesten Schutzweste überleben können.

Kogler will außerdem den Sanitäter-Pool bei der Cobra ausbauen, so, dass im Endeffekt bei jedem Einsatz ein Sanitäter dabei ist. Außerdem soll die Möglichkeit, sämtliche Einsatzmittel per GPS orten zu können, ausgebaut werden.

Polizei will nachbessern

Und – den Cobra-Teams sollen flächendeckend Fahrzeuge der Beschussklassen 6 und 7 zur Verfügung stehen, die auch Schüssen aus Gewehren standhalten. In Niederösterreich waren nur Fahrzeuge der Klasse 4 im Einsatz. Kogler will fallweise mit dem Bundesheer kooperieren oder eigene, bessere Fahrzeuge anschaffen. Auch die Frage, ob die Polizei die geeignete Munition verwendet, will Kogler weiter prüfen lassen. Zuletzt hieß es unter Berufung auf das Schießgutachten, die verwendete Soft-Munition sei nicht mehr zeitgemäß. Mit dieser Munition war Alois H. trotz eines Streifschusses am Bauch nicht zu stoppen. Hätte ihn mannstoppende Deformationsmunition gestreift, wäre diese Flucht nicht mehr möglich gewesen, hieß es im Gutachten. Im Innenministerium entkräftet man: „Andere Munition hätte nur bei einem Volltreffer eine Rolle gespielt, nicht bei einem Streifschuss“, so Marius Gausterer, Zuständiger für Sondereinsatzangelegenheiten.

Auch den Vorwurf, die drei Cobra-Männer, die dem Wilderer ursprünglich aufgelauert haben, seien zu wenige gewesen, und das Team aus Spargründen so klein, widerspricht Kogler: Das habe allein taktische Gründe gehabt. Ein größeres Team hätte dort für zu viel Aufsehen gesorgt. (cim)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2014)

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