Wenn es eng wird im Wienerwald

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Das Wiener Umland verdichtet sich: Die Dörfer rund um die Bundeshauptstadt müssen immer größere Bauten bewilligen, um den Zuzug zu bewältigen. Das stößt auf Protest.

Maria Anzbach. „Wir werden so lange kämpfen, bis wir der Terra die Lust am Bauen verderben“, sagt Michael Hell und schaut grimmig entschlossen aus dem Fenster seines Wohnbüros, wie es nur ein Anrainer tun kann, der um Licht, freie Sicht und die große Wiese auf dem Nachbargrundstück bangt.

Unruhe herrscht im idyllischen Maria Anzbach, einer 2900-Einwohner-Gemeinde an der alten Westbahn, mitten im Wienerwald. Die Ursache: ein 5500-Quadratmeter-Grundstück hinter der Pfarrkirche, ein Traum von einem Baugrund. Zum Bahnhof (30 Minuten nach Wien, 27 nach St. Pölten) geht man keine fünf Minuten, noch schneller ist man im Ortszentrum, bei Volksschule und Kindergarten. Kurz: Wo jetzt saftiges Gras und wilde Blumen mannshoch wachsen, wäre ein idealer Ort, um Wohnungen für junge Familien zu bauen.

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Das hat auch die ÖVP-Mehrheit im Gemeinderat – sie stellt 15 der 21 Mandate – so gesehen: 2011 hat die Gemeinde den Grund um 66 Euro pro Quadratmeter gekauft. Vor etwa einem Jahr hat sie Teile davon um 113 Euro weiterverkauft, an die ÖVP-nahe Terra-Wohnbaugenossenschaft. Sie will hier 36 geförderte Wohnungen errichten.

Leistbarkeit durch Dichte

Leistbarer Wohnraum, den Maria Anzbach dringend brauche, um die Abwanderung der Jungen zu bremsen, argumentiert Bürgermeisterin Karin Winter: Dank Zuwanderung wachse die Gemeinde zwar – seit 1980 ist Anzbach um fast ein Drittel gewachsen –, aber der Trend geht in Richtung Überalterung.

Da sollte die Genossenschaftsanlage Abhilfe schaffen: Vier Häuser sind auf dem Grundstück hinter der Kirche geplant, das größte davon rund 60 Meter lang, mit drei Stockwerken. Eine „verdichtete Bauweise“, wie sie Maria Anzbach bisher nicht kannte.

Und die auf massiven Protest traf – in Gestalt von Hell und seinen Mitstreitern, die als Bürgerinitiative gegen diese Art von Bebauung kämpfen. Seit mehr als einem halben Jahr gehen sie mit anwaltlichem Beistand gegen das Projekt vor, erheben Einwendungen und prangern die teils bemerkenswerten Umstände des Bauverfahrens an: Dass der Gemeinderat den Verkauf in derselben Sitzung absegnete, in der Terra das Projekt überhaupt erst präsentierte. Dass die Ladung zur Bauverhandlung just am 31. Dezember zugestellt wurde. Dass eine durch die Bürgermeisterin zugesagte Anrainerinformation nicht stattfand.

Und dann sind da noch die „sachlichen“ Einwendungen: Dass direkt neben der Volksschule ein zweistöckiges Parkdeck geplant ist, und dass das Ortsbild unter der neuen Konstruktion leiden würde. Im Kern bleibt aber ein Einwand: „Wir wollen keinen Monsterbau bei uns im Ort“, donnert Hell. Kern des Protests ist, dass die neuen Bauten die Nachbarschaft massiv entwerten würden – das Hauptgebäude des Terra-Komplexes würde Hells Grund etwa so belasten, dass er – seiner Schätzung nach – „zwei Stunden weniger Sonne am Tag“ hätte.

Fälle wie diesen in Maria Anzbach gibt es inzwischen in fast jeder Gemeinde des Wiener Umlandes. Von einer neuen Villa am Bisamberg, gegen die die Nachbarschaft mobilmacht, über ein abgesagtes Luxuswohnprojekt in Pressbaum bis zu Anrainerdemos gegen einen neuen Wohnpark in Unterwaltersdorf: Hier lernt gerade eine Region – nämlich die am schnellsten wachsende in Österreich –, mit dem neuen Anspruch nach mehr Dichte umzugehen.

Das ist eine Folge des mittlerweile strengen Raumordnungsprogramms des Landes Niederösterreich: Seit dieses 2002 beschlossen worden ist, können Gemeinden kaum noch über ihr Kerngebiet hinaus bauen. Der Landschaft tut das gut – aber die Gemeinden müssen auf Verdichtung setzen, um den kräftigen Zuzug bewältigen zu können. Und das führt zu Reibungen mit jenen Menschen, die an den dörflichen Strukturen der Region festhalten wollen. „Und der Egoismus nimmt auch zu“, ergänzt Bürgermeisterin Winter.

Wie es mit der Wiese in Maria Anzbach weitergeht, ist inzwischen offen: Gestern, Freitag, ist die Einspruchsfrist gegen den Terra-Bau zu Ende gegangen. Michael Hell hat eingereicht. Natürlich.

AUF EINEN BLICK

Das Wiener Umland ist die am stärksten wachsende Region Österreichs, bis 2050 wird die Bevölkerung hier um mehr als ein Drittel steigen. Der starke Zuzug – und der damit verbundene Anstieg der Grundstückspreise – sorgt für wachsende Konflikte in den Ortschaften: Wo anstelle dörflicher Einfamilienhausstrukturen dichte Mehrparteiensiedlungen entstehen sollen, kommt es zu Protesten eingesessener Bürger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2014)

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