Das Land der abertausenden Keller

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wie Josef F. gruben zahllose Österreicher Sicherheitskeller. Wie viele, weiß niemand so genau.

Wenn Herr K. aus Niederösterreich die schwere Metalltüre von innen verriegelt, verstummen mit einem Schlag alle Geräusche. Die absolute Stille hinter 30 Zentimetern Stahlbeton wird nur durch den Luftzug der Lüftung und den Gedanken an das Verlies des mutmaßlichen Inzest-Vaters Josef F. gestört. Doch Herr K. vertreibt mit freundlicher Stimme düstere Fantasien: „Willkommen in meinem Schutzraum.“

K. und F. haben nur eines gemeinsam: Sie sind zwei von tausenden Österreichern, die ihre Häuser in den vergangenen Jahrzehnten mit massiven Kellern aufgerüstet haben. Freilich – K.'s Schutzraum wurde nicht gebaut, um jemanden wegzusperren, sondern um ihm selbst und seiner Familie im Fall des Falles ein sicheres Nest zu sein. Nach Bekanntwerden des Amstettener Falls fragen sich viele, welche Geheimnisse in den privaten Kellern der Alpenrepublik sonst noch schlummern können, „Die Presse“ ging auf Spurensuche.

Vorbild Schweiz

„Heutzutage wird die überwältigende Mehrheit der Schutzräume als Lager-, oder Freizeit-Räume, als Weinkeller oder Sauna genutzt“, sagt Karl Hillinger, der in seinem Leben unzählige Sicherheitskeller gesehen hat. Als Geschäftsführer der Firma Seba aus Gmunden hat er sich nämlich auf Ein- und technische Ausrüstung von Schutzräumen spezialisiert. Als Hillinger auch im Inland noch viel zu tun hatte – heute liegt sein Kernmarkt im arabischen Raum – ist schon einige Jahre her.

Es war während der heißesten Zeit des Kalten Krieges (Kubakrise: 1962), als man sich in Österreich ernsthaft mit dem Gedanken auseinander setzte, wie die Zivilbevölkerung zu schützen wäre, sollte man als neutrales Land zwischen die Fronten von Nato und Warschauer Pakt geraten. Ein logischer Ausfluss war der Beginn des groß angelegten Baus von Schutzräumen. Vorbild war die Schweiz. „Nach den zwei Weltkriegen wurden dort für jeden Bürger zwei Schutzraum-Plätze errichtet – einer am Arbeitsplatz und einer zu Hause“, weiß Walter Schwarzl, Büroleiter des österreichischen Zivilschutzverbandes.

Nach einem Ministerratsbeschluss im Jahr 1967 wurden anfänglich nur öffentliche Gebäude (Kasernen, Schulen, Amtshäuser, etc.) mit den trümmer-, feuer- und strahlensicheren Räumen ausgestattet. Erst später verpflichteten sieben von neun Landesbauordnungen auch private Bauherren dazu (Ausnahmen: Wien, Salzburg). Gleichzeitig schütteten die Länder entsprechende Förderungen für Häuslbauer aus – die nicht von allen dazu Berechtigten in Anspruch genommen wurden. Auch das ist ein Grund dafür, warum niemand wirklich weiß, wie viele Keller hierzulande tatsächlich echte Schutzräume sind.

Auch Herr K. aus Niederösterreich will nicht, dass irgendjemand von seinem Schutzraum erfährt. „Ich möchte mir im Ernstfall ersparen, dass die Nachbarn vor meiner Tür Schlange stehen“, sagt er. Ironischer Nachsatz: „Es sei denn, sie hätten ein Paket Schnapskarten mit dabei.“ Die schrägen Blicke Unwissender will er mit dem Mittel der Diskretion vorbeugend verhindern. „Wer einen Schutzraum funktionstüchtig hält, und nicht als Lager, Sauna oder Hobbyraum nutzt, wird schnell als Spinner abgestempelt.“ Als paranoid will der bodenständige Mann nämlich keinesfalls gelten. „Ich erwarte mir ja nicht, dort unten Monate auszuharren und einen Atomkrieg zu überleben. Aber bei einem schweren Sturm oder einem AKW-Unfall kann es sicher nicht schaden, die ersten zwei oder drei Tage in Sicherheit zu sein.“

2,7 Mio. Schutzraum-Plätze

Bei anderen treibt der Wunsch nach Geheimhaltung manchmal seltsame Blüten. Regelmäßig äußern Kunden des Schutzraum-Ausstatters Hillinger den Wunsch, dass das Logo auf dem Firmenwagen vor Hausbesuchen entfernt wird. „Leute, die den Schutzraum-Gedanken wirklich ernst nehmen, legen großen Wert auf Geheimhaltung gegenüber ihrer unmittelbaren Umgebung“, sagt er.

Das letzte Mal hat sich das inzwischen aufgelassene Referat Pr/11a des Wirtschaftsministeriums im Jahr 2000 die Mühe gemacht, die Zahl der offiziell deklarierten Schutzraum-Plätze zu erheben (die Zahl der Schutzräume selbst scheint nirgendwo in den Akten auf). Demnach stehen in Österreich 2,7 Mio. Plätze zur Verfügung, 53 Prozent davon bei privaten Immobilienbesitzern.

Was die Schutzraum-Dichte betrifft, gibt es regional große Unterschiede.

Wien weit abgeschlagen

In Kärnten und der Steiermark stehen 83 Prozent der Bevölkerung Plätze zur Verfügung, in Niederösterreich sind es nur neun, in Wien gar nur drei Prozent. Geht man davon aus, dass ein durchschnittlicher Schutzraum eines Einfamilienhauses für vier oder fünf Personen ausgelegt ist, kommt man auf eine Schutzraum-Gesamtzahl von einer Viertelmillion. Allerdings dürfte die Zahl der wirklich einsatztauglichen Schutzräume deutlich geringer sein. Schätzungen zufolge sind lediglich zwei bis drei Prozent, oder 7500, mit Luftfilter-Systemen und Nahrungsvorräten ausgestattet.

Daran wird sich nicht viel ändern. Als letztes Bundesland strich Kärnten 1997 die Schutzraum-Baupflicht aus der Bauordnung. In Niederösterreich muss ein Bauherr dem Amt nur noch nachweisen, dass er einen Schutzraum nachträglich bauen könnte.

Die Ängste der Bevölkerung sind längst andere. Wegen der weltweiten Lebensmittelknappheit liegt derzeit dehydrierte Haltbarnahrung, die 20 Jahre lang eingelagert werden kann, schwer im Trend. Die Lieferzeit beträgt schon bis zu acht Wochen. Schutzraum-Ausstatter Hillinger: „Erst kürzlich hat sich bei mir ein Herr für 11.000 Euro mit Astronautennahrung eingedeckt.“

AUF EINEN BLICK

Bunker als Wirtschaftsfaktor. Wien versucht seine Bunker zu nutzen, obwohl die Verwendung der Bauwerke schwierig ist. Bisher sind ein Depot des Museums für angewandte Kunst, ein Bezirksmuseum und ein Foltermuseum in die Bunker gezogen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2008)

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